Peter Möller [1]

Einige Gedanken zum 2. Arbeitsmarkt und über die Sinnhaftigkeit von Institutionen, die ihren Umsatz ganz oder überwiegend mit der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts machen

Zum ersten Mal geschrieben im März 2001. Letzte Aktualisierung im März 2008.



1. Prinzipielle Befürwortung des Sozialstaates

2. Nur soviel Sozialstaat wie bezahlbar ist

3. Die zwangsläufige Ineffizienz von reinen Beschäftigungsgesellschaften

4. Das alltägliche »Schummeln« bei der Beschäftigungsgesellschaft

5. Die Beschäftigungsgesellschaft entwickelt ihr Eigeninteresse

6. Beschäftigungsgesellschaften bewirken geringere Sozialleistungen

7. Wie der 2. Arbeitsmarkt in Zukunft funktionieren sollte

Anmerkungen




1. Prinzipielle Befürwortung des Sozialstaates

Der heutige materielle Lebensstandard der großen Mehrheit der Menschen in großen Teilen Europas – der beträchtlich höher ist als der ihrer Vorfahren im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – hat besonders drei Ursachen:

1. In einem beträchtlichen Maße ist er dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der damit einhergehenden gewaltigen Steigerung der Produktivkräfte zu verdanken. Dieser wissenschaftlich-technische Fortschritt zieht aber zwangsläufig einen ständigen Strukturwandel in der Wirtschaft nach sich, der mit Betriebsschließungen, der Verkümmerung ganzer Regionen, Arbeitslosigkeit, Umschulungsbedarf usw. einhergeht.

2. Der heutige Lebensstandard hat seine Ursachen auch im Wirtschaftssystem. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Marktwirtschaft trotz aller ihrer Mängel produktiver ist, als jede Planwirtschaft. Zur Marktwirtschaft gehören zwangsläufig Konjunkturschwankungen und Konkurse. Konkurse sind ein unabänderlicher Tatbestand der Marktwirtschaft. Es werden immer mehr Güter und Dienstleistungen angeboten als absetzbar sind. Und die Firmen, die mit ihren Gütern und Dienstleistungen den Wünsche der Verbraucher am meisten entsprechen und die günstigsten Preise bieten können, setzen sich durch. [2] Die anderen verschwinden. In der Marktwirtschaft sind Konkurse das, was in der Wissenschaft das Falsifikationsprinzip ist bzw. sein sollte. [3] Konkurse bringen aber auch immer Arbeitslosigkeit mit sich. Und auch unabhängig davon ist Vollbeschäftigung in der Marktwirtschaft eine Ausnahmeerscheinung, die lediglich in bestimmten Aufbauphasen eintritt – z. B. nach einem Krieg oder anderen Katastrophen. Ein gewisser Prozentsatz an Arbeitslosen ist unvermeidlich. [4]

3. Last not least hat der heutige Lebensstandard seine Ursachen darin, dass die in früheren Zeiten sehr armen lohnabhängigen Menschen sich Gewerkschaften, politische Parteien, Genossenschaften etc. geschaffen haben, um organisiert für eine Verbesserung ihres Lebensstandards einzutreten. Wir heute Lebenden profitieren von Kämpfen, die unsere Ur- und Ururgroßeltern einst begonnen haben. Ein Ergebnis dieses Kampfes ist der moderne Sozialstaat. (Der Sozialstaat ist faktisch ein Kompromiss zwischen kapitalistischen und sozialistischen Vorstellungen. Die vollständige Abschaffung des Kapitalismus und seine Ersetzung durch den Sozialismus ist überall fehlgeschlagen.)

Aus humanitären und sozialen Gründen aber auch aus Gründen der gesellschaftlichen, politischen und damit letztendlich auch wirtschaftlichen Stabilität ist es notwendig, die sozialen Härten die Strukturwandel und Konkurse mit sich bringen, durch staatliche Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik weitgehend aufzufangen. Zu einer solchen Politik gehört auch der 2. Arbeitsmarkt. Das bedeutet, dass mit staatlichen Geldern Arbeitsplätze geschaffen werden, die ansonsten nicht entstehen würden: ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) und SAM (Strukturanpassungsmaßnahmen) z. B. im sozialen Bereich oder in der Reinigung oder Sanierung öffentlicher Flächen. Des weiteren in der privaten Wirtschaft die LKZ-Stellen. (D. h., dass ein Arbeitsplatz nur dadurch entsteht, dass der Staat Lohnkostenzuschüsse leistet.) Seit einigen Jahren werden staatlich finanzierte Arbeitsplätze auf dem 1. Arbeitsmarkt geschaffen, deren hervorstechendes Merkmal darin besteht, dass die Arbeitnehmer weit unter Tarif bezahl werden. Die Grenze zwischen 1. und 2. Arbeitsmarkt ist inzwischen nicht immer eindeutig.

ABM-, SAM- und seit Hartz IV MAE-Stellen (Mehraufwandsentschädigung – 1 Euro-Jobs) werden nun nicht nur von sowieso existierenden Institutionen geschaffen (Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Altenheime, Vereine, Kirchen, Gewerkschaften, staatliche Stellen etc.) sondern auch von Unternehmen, sogenannten »Beschäftigungsgesellschaften«, deren ausschließlicher Zweck im Organisieren und Verwalten von Projekten des 2. Arbeitsmarktes besteht. (Bis vor Kurzem war der Name für solche Beschäftigungsgesellschaften noch »ABM-Träger«, weil ABM ursprünglich die am häufigsten praktizierte Art des 2. Arbeitsmarktes war. Inzwischen gibt es weitere Arten, die ABM vielfach ersetzt haben, z. B. die MAE-Maßnahmen.) Diese Beschäftigungsgesellschaften sind volkswirtschaftlich und sozialstaatlich gesehen bedenklich, wie ich in dieser Schrift aufzeigen werde.


2. Nur soviel Sozialstaat wie bezahlbar ist

Der Sozialstaat kann auf Dauer nicht von Krediten finanziert werden. Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland haben zusammen über eine Billionen (1.000.000.000.000) Euro Schulden. In früheren Jahrzehnten haben Politiker geglaubt, man könne – scheinbar nur vorübergehend – Kredite für laufende Ausgaben aufnehmen [5], da früher oder später durch Einnahmesteigerungen diese Kredite ohne Einschränkung staatlicher Leistungen wieder zurückgezahlt werden könnten. Dies hat sich als Irrtum erwiesen. Zinszahlungen und Schuldentilgungen haben schon seit längerer Zeit den Abbau staatlicher und damit auch sozialstaatlicher Leistungen zur Folge.

Dazu kommt, dass heutzutage kein Staat mehr seine Wirtschafts- und Finanzpolitik autonom gestalten kann, ohne Rücksicht darauf, was anderswo auf dem Planeten vorsichgeht. Stichwort: Globalisierung. Die heutigen Verkehrs- und Kommunikations-Möglichkeiten lassen dies nicht mehr zu. [6]

Wenn man Sozialstaat auf Dauer nicht auf Pump betreiben kann und die Höhe der Staatseinnahmen nicht mehr im eigenen Ermessen liegt, dann ist auf Dauer nur soviel Sozialstaat möglich, wie die volkswirtschaftliche Gesamtkraft eines Staates ermöglicht. Deshalb ist es im Interesse der Erhaltung des Sozialstaates notwendig, alle staatlichen und damit auch alle sozialstaatlichen Maßnahmen immer wieder auf ihre volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. [7]

Dabei sollte man sich von dem Gedanken leiten lassen, dass es keine für alle Zeiten richtigen Antworten gibt. Das haben kluge Leute von Goethe bis Willy Brandt immer gewusst. Die Umstände ändern sich, Technik, Wissenschaft, gesellschaftliche Institutionen, die Mentalität der Menschen, die Altersstruktur etc. Etwas, das gestern richtig war, kann heute falsch sein und umgekehrt.

Eine ständige Überdenkung staatlicher und sozialstaatlicher Maßnahmen bedeutet aber nicht nur theoretisches Reflektieren, es bedeutet auch eine ständige Auseinandersetzung mit etablierten Interessen.


3. Die zwangsläufige Ineffizienz von reinen Beschäftigungsgesellschaften

Die demokratisch und marktwirtschaftlich organisierten Staaten nehmen den Menschen, wie er ist, nicht, wie man ihn gerne hätte. Der Mensch handelt im wesentlichen aus egoistischen Motiven heraus, strebt nach persönlichem Eigentum und Wohlergehen. Den meisten Menschen sind auch Gefühle wie Solidarität, Mitleid, Hilfsbereitschaft, Pflichtbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein für das Ganze etc. glücklicherweise nicht fremd. Diese Gefühle gehen aber in der Regel immer nur so weit, wie das eigene Ich dabei nicht zu kurz kommt.

Für ein Unternehmen, das für den Markt produziert, ist das wichtigste Erfolgsrezept, dass seine Güter oder Dienstleistungen beim Verbraucher gut ankommen, und dass es diese Produkte zu einen Preis anbieten kann, der konkurrenzfähig ist und der gleichzeitig die Kosten decken lässt. (Arbeitskosten und Kapitalkosten) Dafür ist es in der Regel notwendig, dass das Unternehmen seine Arbeitskräfte und seine Anlagen so effektiv wie möglich einsetzt und sich gleichzeitig auch immer weiterentwickelt. Der Käufer, sprich derjenige, der dem Unternehmen Geld gibt, ist in der Regel auch derjenige, der das Produkt oder die Dienstleistung in Anspruch nimmt und damit eine ständige, unmittelbare Kontrolle ausübt. Wenn ihm das Produkt oder die Dienstleistung in seiner Güte oder seinem Preis nicht mehr zufriedenstellt, gibt er sein Geld in Zukunft einer anderen Firma. [8]

Der Erfolg eines Unternehmens, dass seine Existenz ausschließlich oder zum überwiegenden Teil dem Verwalten von Projekten des 2. Arbeitsmarktes u. ä. verdankt, hängt nicht und schon gar nicht in erster Linie von der Güte seiner Leistungen – und deren Kosten – ab. Entscheidend ist, wieviele Projekte man für seine Firma akquirieren kann, wie geschickt man beim Erlangen von Fördergeldern ist. Dafür ist der Ruf, den das Unternehmen bei den Institutionen hat, die über die Vergabe von Projekten und Fördergelder entscheiden, wichtiger, als die Güte der Leistungen des Unternehmens. Die Menschen oder Menschengruppen, die dem Unternehmen Geld zur Verfügung stellen, sind nämlich nicht identisch mit den Menschen, die die Leistungen dieses Unternehmens in Anspruch nehmen. Die Geldgeber und die Verbraucher kommunizieren nicht miteinander, sie kennen sich in der Regel überhaupt nicht. Damit ist eine unmittelbare und ständige Kontrolle wie auf dem Markt nicht mehr gegeben. Das geht in Extremfällen sehr weit:

Es werden Projekte betrieben, deren Arbeit niemandem nützt, an dem niemand Interesse hat. Die Projektmitarbeiter machen faktisch nichts außer am Arbeitsplatz zu erscheinen. Oder sie gehen ihren Hobbys nach. Bestenfalls findet eine Beschäftigungstherapie für die Projektmitarbeiter statt. Der einzige Sinn solcher Projekte ist, dass die Beschäftigungsgesellschaft daran verdient.



Wenn das JobCenter (ehemals Arbeitsamt) stichprobenartig Projekte kontrolliert – und dann ja im wesentlichen auch noch die Aktenlage, nicht die Leistungen, die bei den Verbrauchern ankommen – kann dies auch nicht annähernd die Kontrolle ersetzen, die die Käufer auf dem Markt durch den Kauf und den Verbrauch eines Produktes ständig und unmittelbar ausüben. Ein wesentliches Element der Marktwirtschaft, das ihre Effizienz und ihre ständige Innovation bedingt, der Zwang unter Strafe des Untergangs seine Arbeitskräfte und seine Anlagen so effektiv wie möglich einzusetzen und mit der Qualität und den Preisen seiner Produkte im Konkurrenzkampf zu bestehen, fällt weg. Und da Menschen dazu neigen, nur soviel zu tun, wie sie müssen bzw. Lust haben, entwickeln sich fast zwangsläufig Bequemlichkeit, zu spätes Kommen, zu frühes Gehen, sehr lange Pausen, Schlendrian, Ineffektivität etc. Tendenziell geht es deshalb auf dem 2. Arbeitsmarkt erheblich legerer zu als auf dem 1. Arbeitsmarkt. Diese hier theoretisch hergeleitete Behauptung lässt sich auch empirisch/statistisch beweisen. Und jeder Mensch, der mit Projekten des 2. Arbeitsmarkts zu tun hat und nicht durch interessensbedingte Erkenntnisschranken darin gehindert ist, offensichtliche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, weiß das auch ohne die Hilfe empirischer Untersuchungen und Statistiken.

Dies bedeutet nicht, dass alle Beschäftigungsgesellschaft ineffektiv arbeiten und alle Beschäftigten des 2. Arbeitsmarktes ein faules Leben haben. Eine solche Verallgemeinerung ist falsch und deshalb auch ungerecht. Es gibt Beschäftigte des 2. Arbeitsmarkts, die sich stärker engagieren, mehr und sorgfältiger arbeiten als Menschen, die einen festen – und oft noch unkündbaren – Arbeitsplatz haben. Es ist im Zusammenhang mit dem Untergang des sowjetischen Systems in Osteuropa oft genug und mit Recht betont worden: Es ist nicht so, dass im Westen die Fleißigen und Klugen saßen und im Osten die Faulen und Dummen. Man hatte im Westen ein wirtschaftliches System, das Effektivität und Innovation erzwang. Und man hatte im Osten ein politisch-wirtschaftliches System, das Duckmäuserei, Passivität, Verantwortungslosigkeit und damit Ineffektivität förderte. Die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen, die dem jeweiligem System innewohnten, führten zum Untergang des einen und zum Fortbestand des anderen Systems.

Und es ist heute nicht so, dass in den marktorientierten Unternehmen die Fleißigen und Klugen sitzen und in den Betrieben, die ganz oder zum größten Teil vom 2. Arbeitsmarkt leben, die Faulen und Dummen. Es geht nicht darum, einzelne Menschen anzugreifen, sondern es geht darum, auf gefährliche sozial-ökonomische Mechanismen hinzuweisen.

Ein Unternehmen wird dann besonders erfolgreich sein, wenn es sein Hauptaugenmerk auf das richtet, was für sein Überleben unabdingbar ist, wenn die dort Beschäftigten – besonders die leitenden Kräfte – in diesen Bereichen besondere Fähigkeiten entwickeln. Und das ist bei reinen Beschäftigungsgesellschaften nun mal nicht die Güte der Leistungen und die Effektivität des Einsatzes der Mitarbeiter und der Anlagen, sondern die Geschicklichkeit bei der Akquirierung von Projekten und beim »Abzocken« von Fördergeldern. (Das Wort »Abzocken« wird häufig für diesen Vorgang benutzt, ist also nicht etwa eine von mir gewählte diffamierende Formulierung.)

Natürlich muss auch in solchen Unternehmen mit den vorhandenen finanziellen Mitteln sorgsam umgegangen werden. Ansonsten gehen auch solche Unternehmen Konkurs, was oft genug vorkommt. Aber wie sorgsam man auch immer mit seinen Mitteln umgehen mag, wenn keine neuen Projekte akquiriert, keine Fördergelder eingebracht werden, geht ein solches Unternehmen kaputt. Wie effektiv dagegen die Projektmitarbeiter eingesetzt werden und wie gut ihre Leistungen sind, ist für den Unternehmenserfolg völlig irrelevant, bestenfalls sekundär. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man bei der Monierung von Arbeitszeitnachweisen hört:


»Es ist egal, wieviel der arbeitet!
Entscheidend ist, was aufgeschrieben wird.«



Wie gut die Leistungen der Projektmitarbeiter sind, kann den Erfolg des Unternehmens nur soweit beeinflussen, wie ineffektiver Einsatz und schlechte Leistungen bei den Geldgebern bekannt werden. (Und die Verantwortlichen in den JobCentern wissen sowieso, dass es auf dem 2. Arbeitsmarkt legerer zugeht als auf dem 1. Arbeitsmarkt.) Aber welche Mitarbeiter solcher Projekte geht zum JobCenter und beklagt sich, zuwenig zu tun zu haben? Beschwerden darüber sind äußerst selten. Erstens haben es die meisten Menschen gerne etwas ruhiger und zweitens will man sich nach mehr oder weniger langer Arbeitslosigkeit nicht den Job kaputt machen. Und drittens will man seinen Kollegen nicht in den Rücken fallen. Und wenn tatsächlich mal ein Projektmitarbeiter sich beschweren sollte, dann ist es ein Außenseiter und auch als solcher abzustempeln. »Der ist ja gar nicht repräsentativ. Fragen sie mal die Anderen. Die haben alle genug Arbeit. Er engagiert sich halt nicht. Er meckert nur.«

Nun sollen Projekte des 2. Arbeitsmarkts auch dazu dienen, Langzeitarbeitslose an den 1. Arbeitsmarkt heranzuführen. Gewöhnen tun sich Mitarbeiter solcher Projekte aber häufig nur daran, wie leger das Arbeitsleben sein kann. Wer einmal auf dem 2. Arbeitsmarkt beschäftigt war, will häufig gar nichts anderes mehr machen. Am effektivsten sind Beschäftigte des 2. Arbeitsmarkt dort eingesetzt, wo sie in Strukturen des 1. Arbeitsmarktes eingebunden sind. Dort findet dann auch eine wirkliche Gewöhnung an den 1. Arbeitsmarkt statt.

Es gibt im Bereich des 2. Arbeitsmarktes viele Menschen, denen diese Mechanismen sehr wohl bekannt sind und die versuchen, diesen bewusst entgegenzusteuern. Aber wie ehrlich und kurzfristig erfolgreich diese Anstrengungen auch immer sein mögen, im Bereich des 2. Arbeitsmarktes bleibt Effektivität beim Einsatz der Mitarbeiter und die Güte ihrer Leistungen weitgehend eine Frage von Wollen oder Nicht-Wollen. Bei den marktorientierten Unternehmen ist es dagegen eine Frage von Sein oder Nicht-Sein.

Betriebe die ihre Existenz nur oder zum überwiegenden Teil der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarktes verdanken, sind wegen der hier aufgezeigten sozial-ökonomischen Mechanismen volkswirtschaftlich und sozialstaatlich bedenklich. Sie mögen kurzfristig Arbeitsplätze schaffen, besonders für die dort fest Beschäftigten, langfristig führen sie wegen ihrer Schwächung der Volkswirtschaft zum Abbau des Sozialstaates.


Für Betrieben, die für den Markt produzieren ist in der Regel die Güte ihrer Produkte wichtiger als ihr Image. Für Betriebe, die ihren Umsatz ganz oder vorwiegend mit der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkes machen, ist es in der Regel umgekehrt. Das Image ist wichtiger als die Güte der Produkte.




4. Das alltägliche »Schummeln« bei der Beschäftigungsgesellschaft

Wichtig für ein Unternehmens, das seinen Umsatz ganz oder vorwiegend mit der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts macht, ist es also auf seinen Ruf zu achten.

Weil aber die finanzielle Ausstattung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts abgebaut wird und Fördergelder immer schwerer zu erlangen sind, sehen sich viele Beschäftigungsgesellschaften dazu genötigt, bei der Erlangung von Projekten und Fördergeldern zu tricksen oder zu schummeln, wie solche Vorgänge häufig verharmlosend genannt werden. Beispielhaft darstellen kann man solches Vorgehen an Hand der vom Europäischen Sozialfond »ESF« geförderten Fortbildungsveranstaltungen.

So ist es in einigen Unternehmen und Vereinen üblich – bzw. üblich gewesen –, dass Mitarbeiter in Projekten des 2. Arbeitsmarkt bei Beginn ihrer Tätigkeit bereits per Unterschrift die Teilnahme an allen zukünftigen Fortbildungsveranstaltungen bestätigen, für die finanzielle Mittel aus dem Europäischen Sozialfond zu bekommen sind. So soll vermieden werden, dass Gelder ausbleiben, wenn Mitarbeiter durch Krankheit oder Urlaub an der Teilnahme von Veranstaltungen gehindert sind. In anderen Unternehmen, Vereinen etc. wird zumindest erwartet, dass man für mehr Fortbildung unterschreibt, als man tatsächlich bekommt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Da kommt ein Versicherungsvertreter und stellt über ca. zwei Stunden seine Produkte dar und anschließend werden alle Mitarbeiter dazu vergattert zu unterschreiben, dass sie an einer fünfstündigen Einführungsveranstaltung in das Versicherungswesen teilgenommen haben. Oder es werden Teilnehmerlisten vordatiert oder nachdatiert. Die Mitarbeiter werden häufig ohne jede Erklärung aufgefordert zu unterschreiben und sollte irgend jemand kritische Anmerkungen machen, dann ist er ein Quertreiber, der die Existenz des Unternehmens, des Vereins etc. in Frage stellt, was sich negativ für ihn auswirken kann, da während der Probezeit jeder ohne Angabe von Gründen entlassen werden kann. Und falls man irgendeiner Stelle gegenüber eine Begründung für die Entlassung angeben muss, dann heißt es nicht etwa: »Frau Meier will nicht schummeln«, sondern: »Frau Meier ist für diese Tätigkeit nicht geeignet.«

Wenn überhaupt argumentativ auf kritische Anmerkungen eingegangen wird, dann wird erklärt, dass dieses Vorgehen moralisch gerechtfertigt sei – es schadet doch keinem –, und deshalb sei es auch juristisch unbedenklich. Dies ist aber ein Fehlschluss, dem häufig auch die leitenden Kräfte solcher Unternehmen, Vereine etc. aufsitzen. Was moralisch gerechtfertigt ist, was überhaupt »Recht an sich« ist, darüber streiten die Philosophen seit Jahrtausenden ohne sich zu einigen. Viele Rechtsphilosophen und Juristen haben daraus den Schluss gezogen, lediglich vom »positiven Recht« zu sprechen. Zu einer bestimmten Zeit gelten in einem begrenzten Territorium bestimmte Gesetze. Und an die hat man sich zu halten bzw. auf diese kann man sich berufen. Und gemessen am positiven Recht ist das, was man verharmlosend »tricksen«, »schummeln« oder »Zeitkonten« nennt schlichtweg Betrug und Urkundenfälschung. Und dass die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung geringer ist, als bei einem Verkehrsunfall tödlich zu verunglücken, ändert daran nichts. Und es ist zum Teil schon wirklich dummdreist, wie kurzfristig Beschäftigte dazu vergattert werden im Interesse eines Unternehmens, Vereins etc. strafrechtliche Risiken einzugehen und sich außerdem noch um ihre eigene Fortbildung zu betrügen.

Man muss allerdings noch anmerken, dass viele Projektmitarbeiter solche Fortbildungsveranstaltungen nur als Pflichtübungen ansehen und es deshalb sehr leicht ist, sie für die Beteiligung an solchen »Schummeleien« zu gewinnen.

Da nun diese Unternehmen, Vereine etc. sehr auf ihren Ruf bedacht sind, werden die leitenden Kräfte allerdings nicht müde geradezu gebetsmühlenartig darauf hinzuweisen, dass bei ihnen alles korrekt zugeht. Zwei Sätze später heißt es dann: »Erstellen Sie mal ein paar fiktive Teilnehmerlisten und lassen sie die von allen unterschreiben usw.« Es entsteht auf diese Weise eine Atmosphäre der Verlogenheit bzw. des gespaltenen Bewusstseins, die für Leute, denen Vernunft und Erkenntnis sehr am Herzen liegt, nur schwer erträglich ist. Aber gerade diesen Leute wird dann vorgeworfen, dass sie schlechte Stimmung verbreiten, weil sie nicht widerspruchslos alles mitmachen, weil sie sich nicht widerspruchslos für die Interessen anderer einspannen lassen, weil sie nicht – wie Brecht es einmal formulierte – Öl sind, sondern Sand im Getriebe der Welt.

Interessant ist es außerdem, dass die gleichen Leute, die solches Vorgehen praktizieren bzw. anordnen, von »krimineller Energie« sprechen, wenn ein Arbeitnehmer Ausreden dafür erfindet, dass er sich nicht rechtzeitig genug krankgemeldet hat bzw. »krank feiert«.

Nun sind die wenigsten Menschen naturwüchsige Schauspieler. Was kann man besser vertreten, als wovon man überzeugt ist? Die Leute glauben es häufig, dass alles korrekt zugeht.

Es gibt Systeme, die eine Bewusstseinsspaltung besonders fördern. Wer in der früheren DDR in irgendeiner Weise am öffentlichen Leben teilnehmen wollte, wer nicht völlig im Privatleben, in der inneren Immigration abtauchen wollte, war gezwungen, häufig den Sozialismus hochleben zu lassen, oder zumindest Beifall zu klatschen, wenn er hochgelobt wurde. Gleichzeitig sah aber jeder halbwegs intelligente Mensch, dass es an allen Ecken und Enden nicht funktionierte. Viele Menschen wurden mit diesem Widerspruch nur fertig, in dem sie ihr Bewusstsein spalteten. Wenn sie den Sozialismus priesen, glaubten sie ehrlich, was sie sagten, und wenn sie ihn kritisierten, glaubten sie auch, was sie sagten. Viele hatten in ihren Köpfen zwei Wahrheitswelten ausgebildet, die unvermittelt nebeneinander standen, und man sprang zwischen diesen Wahrheitswelten hin und her ohne sich dieses Vorgangs bewusst zu sein.

Ich habe nie in einem totalitären System gelebt und ich will deshalb nicht leichtfertig den Stab brechen über Leute, die das musste und die versuchten, für sich eine Strategie zu finden, damit fertig zu werden. In der heutigen Bundesrepublik hat es jedenfalls niemand nötig aus politischen Gründen sein Bewusstsein zu spalten. Und wenn man es für ein paar Euro mehr im Monat macht, habe ich dafür absolut kein Verständnis.

Wenn jemand zu mir kommt, auf eine schwarze Wand zeigt und zu mir sagt, »wir müssen hier unterschreiben, dass diese Wand weiß ist, die Leute, die unsere Arbeitsplätze finanzieren, die wollen das so haben«, dann werde ich unter Umständen augenzwinkernd unterschreiben, dass die Wand weiß ist. Disqualifizieren tun sich ja in erster Linie diejenigen, die einen solchen Schwachsinn von einem verlangen. Ich weiß, dass ich in einer verrückten Welt lebe, und ich trickse mich häufig genug durchs Leben.

Etwas ganz anderes ist es, wenn man von mir erwarten, dass ich auch innerlich der Überzeugung bin, diese Wand sei tatsächlich weiß, dass ich anfangen soll Oden zu dichten auf die Güte dieser weißen Wand. Dann wird man nämlich nicht mehr zum »Schummeln« animiert, sondern dann soll man für dumm verkauft werden, man soll sich zum Idioten machen. Das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, die Fähigkeit zur Vernunft, die soll man zumindest partiell aufgeben. Nicht nur die Wahrheit wird den finanziellen Interessen untergeordnet, sondern die geistige Gesundheit. Es ist faktisch eine Art freiwilliger Demenzerkrankung. Man geht bei rot über die Straße und singt gleichzeitig Loblieder darauf, was für ein gesetzestreuer Bürger man ist.


5. Die Beschäftigungsgesellschaft entwickelt ihr Eigeninteresse

In gemeinnützigen Unternehmen und bei vielen gemeinnützigen Vereinen bildet sich eine Stammbelegschaft. Da solche Unternehmen keine Besitzer haben, die Profite aus diesen Unternehmen ziehen bzw. bei einem Konkurs ihr Vermögen verlieren würden (mit Ausnahme der Einlage bei einer gGmbH), besteht die Tendenz, dass die im Verein, Unternehmen etc. fest Beschäftigten – und unter ihnen besonders die leitenden Kräfte – faktisch das Unternehmen bzw. der Verein sind. (In den letzten Jahren sind allerdings zunehmend Beschäftigungsgesellschaften aufgetaucht, die keine gGmbH – das »g« steht für »gemeinnützlich« –, sondern ganz normale gewinnorientierte GmbH sind.)

Es kommt vor, dass die mit der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts beschäftigten Vereine reine Attrappen sind. Da hat sich ein Freundeskreis – oder eine Seilschaft – getroffen und einen Verein gegründet, ausschließlich zum Zwecke, einer oder mehreren Personen aus diesem Freundeskreis die Möglichkeit zu verschaffen, Projekte des 2. Arbeitsmarkts zu akquirieren und sich selbst auf diese Weise einen festen Arbeitsplatz und eine leitende Position zu verschaffen. Dieser Verein wird zwar korrekt ins Vereinsregister eingetragen und erlangt die Anerkennung als gemeinnützig, aber über den Zweck der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts hinaus, ist er faktisch nicht existent.

Gemeinwirtschaftliche Unternehmen und Vereine gründen gemeinwirtschaftliche Unternehmen, die anfänglich zur Bewältigung eines ganz bestimmten Problems entstehen. Da aber kein wirtschaftliches Interesse der »Muttergesellschaften« an den »Tochtergesellschaften« besteht, gibt es eine Tendenz zur Verselbständigung der Tochtergesellschaften. Das Tochterunternehmen gehört sich nach einer gewissen Zeit faktisch selbst, bzw. der Stammbelegschaft. Die Kontrolle durch die Muttergesellschaft(en) reduziert sich häufig auf Formalien.

Ein Großteil der Aktivitäten des Unternehmens, des Vereins etc. sind keine gemeinnützigen Arbeiten mehr, sondern dienen der Selbsterhaltung des Unternehmens: Image-Pflege, Öffentlichkeitsarbeit (Erstellung von Faltblättern, Broschüren, Homepages), Interessensvertretung gegenüber Institutionen, Mitarbeit in Gremien der freien Träger oder Bezirksausschüssen, Vorbereitung künftiger Projekte etc. Nicht nur das Stammpersonal, sondern auch die Beschäftigten des 2. Arbeitsmartes selbst, und unter ihnen besonders die besser bezahlten, leitenden und verwaltenden Kräfte, werden in großem Umfang zu solchen Aktivitäten herangezogen.


Mitarbeiter, die vom JobCenter – sprich von der Allgemeinheit – für die Durchführung bzw. Leitung gemeinnütziger Arbeiten bezahlt werden, werden im Interesse der Selbsterhaltung des Unternehmens eingesetzt. Die dafür aufgewendete Arbeitszeit geht dann z. B. für die Betreuung bedürftiger Menschen verloren.



Darüberhinaus produziert die Beschäftigungsgesellschaft, um ihre Existenz zu rechtfertigen, riesige Mengen an Papier, Formularen, Aktennotizen etc. die zum größten Teil völlig überflüssig sind.

Von Selbstlosigkeit – eine Voraussetzung dafür, dass einem Unternehmen oder einem Verein die Gemeinnützigkeit zuerkannt wird – kann keine Rede mehr sein. Hier werden entgegen den Kriterien der Gemeinnützigkeit die partikularen Interessen eines bestimmten Personenkreises vertreten, nämlich die des Stammpersonals. Die Gemeinnützigkeit ist faktisch aufgehoben.

Im Vordergrund stehen nicht die Interessen von Langzeitarbeitslosen und von bedürftigen Menschen etc. Im Vordergrund stehen die Interessen des Stammpersonals nach Erhaltung ihrer Arbeitsplätze. Sie leben vom 2. Arbeitsmarkt, haben aber im Gegensatz zu den Beschäftigten des 2. Arbeitsmarkts einen Dauerarbeitsplatz und außerdem 100% Gehalt und 100% tariflicher Nebenleistungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld), was Beschäftigten des 2. Arbeitsmarkts schon seit langem nicht mehr haben.

Das Unternehmen bekommt ständig neue Mitarbeiter, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit im Betrieb verbleiben. Diese Mitarbeiter muss man nicht bezahlen, im Gegenteil, man bekommt sogar noch Geld dafür, dass man sie beschäftigt. Unter diesen kann man sich in aller Ruhe die herauspicken, die zu einem passen. Die anderen ist man nach einer gewissen Zeit automatisch wieder los. Nur wer zu einem passt, wer sich nicht allzu kritisch benimmt, wird verlängert. Unter ihnen hat der eine oder andere vielleicht sogar die Chance auf einen festen Arbeitsplatz zu wechseln. Das ist eine Situation, von der Arbeitgeber auf dem 1. Arbeitsmarkt nur träumen können.

Ich kann verstehen, dass die in solchen Unternehmen und Vereinen fest Beschäftigten versuchen ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Ich mache auch keinem Asylanten einen Vorwurf daraus, dass er unter dem Vorwand politischer Verfolgung versucht der Armut zu entkommen und in ein reiches Land einzuwandern. Ich mache keinem Millionär einen Vorwurf daraus, dass er die Zinsen seines Vermögens einkassiert. Ich halte es nicht für sinnvoll, einem Anderen etwas vorzuwerfen, was man, wäre man in seiner Situation, nicht anders machen würde. Aber ich rate jedem, sich nicht für die Interessen anderer einspannen zu lassen. Und ich rate dazu, über seine kurzfristigen persönlichen Interessen nicht die Interessen der Gesamtheit und damit auch seine eigenen mittel- und langfristigen Interessen aus den Augen zu verlieren.


6. Die Beschäftigungsgesellschaften bewirken geringere Sozialleistungen

Wie reine Beschäftigungsgesellschaften bei der Verfolgung ihrer Selbsterhaltung einen Abbau sozialstaatlicher Leistungen herbeiführen, dazu folgendes – von mir erdachtes – Beispiel: (Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Projekten sind natürlich beabsichtigt.)

Das JobCenter X stellt fest, dass in den Kindergärten seiner Stadt bzw. seines Stadtbezirks, Landkreises etc. die Kinder nicht besonders gut betreut werden. Die Kindergärtner(innen) sind durch zu große Gruppen überlastet und müssen außerdem häufig Küchen- und Reinigungsaufgaben übernehmen, da Hilfspersonal fehlt. Gleichzeitig sind viele Frauen im Alter über 55 Jahren arbeitslos. Auch wenn sie eine Berufsausbildung haben, arbeitswillig und fleißig sind, sie sind faktisch nicht in Arbeit vermittelbar. Die meisten von ihnen haben einmal Kinder großgezogen und betreuen heute ihre Enkelkinder.

Also initiiert das JobCenter ein Projekt unter dem Titel »Omis in die Kindergärten« und beauftragt die Beschäftigungsgesellschaft Y damit, ein solches Projekt zu organisieren.

Dieser Träger stellt für ein Jahr zehn Betreuerinnen, eine(n) Projektleiter(in) und eine Verwaltungskraft ein. Voraussichtliche Ausgaben des JobCenters für die Projektmitarbeiter und die Beschäftigungsgesellschaft ca. 300.000 Euro.

Neben der Tätigkeit in den Kindergärten werden die Frauen eventuell noch in Kursen über Kinderbetreuung, rechtliche Aspekte, 1. Hilfe-Kurs etc. weitergebildet. Außerdem machen sie ein Bewerbungstraining für den 1. Arbeitsmarkt und es werden mehrere Entwicklungsgespräche mit ihnen geführt, bezüglich ihrer beruflichen Perspektiven etc. Zusätzlich dazu finden Projekttage, Exkursionen etc. statt. In den ersten Wochen gibt es eine Anlaufphase, in der faktisch noch keine Betreuung stattfindet. Einzelne Frauen werden vielleicht noch ein Praktikum in einem Betrieb des 1. Arbeitsmarktes absolvieren mit der – fast immer vergeblichen – Hoffnung, dort anschließend einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Insgesamt werden für diese Dinge ca. 25% der Arbeitszeit – bei Praktikas mehr! – über das ganze Jahr verteilt verbraucht. Ca. 75% ihrer Arbeitszeit sind die Betreuerinnen in den Kindergärten. Geschaffen werden also faktisch 10 x 0,75 Betreuer-Stellen.

Viele der älteren Frauen werden nun den Sinn vieler dieser Maßnahmen bezweifeln: »Was soll ich denn in meinem Alter noch mit einem Bewerbungstraining? Wieso soll ich vier Wochen lang für irgendeinem Betrieb kostenlos arbeiten? Wieso muss es Entwicklungsgespräche über meine berufliche Zukunft geben? Ich bin unvermittelbar. Diese Arbeit ist für mich eine Überleitung in die Rente.« etc. (Alle diese Einwände habe ich selbst bei meiner Arbeit als Projektleiter zu hören bekommen.)

Einige der älteren Frauen werden auch die Weiterbildung im Bereich der Kinderbetreuung nur als Pflichtveranstaltungen ansehen, da sie der Meinung sind über genügend praktische Erfahrung in diesem Bereich zu verfügen. Einige Frauen haben vielleicht auch gerade eine Umschulungsmaßnahme in diesem oder einem ähnlichen Tätigkeitsbereich absolviert und fragen sich nun, warum sie sich das Gleiche noch mal anhören müssen. Wenn nun das Projekt auch noch verlängert wird, und alle diese Veranstaltungen noch einmal stattfinden, wird das Ganze noch absurder.

Die Beschäftigungsgesellschaft, die mit diesen Maßnahmen ihre Existenz rechtfertigt, wird natürlich viele Argumente für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen anführen, die aber nur aus ihrer Interessenssicht verständlich sind.

(Hier muss man allerdings anmerken, dass die Fortbildung innerhalb der Projekte des 2. Arbeitsmarkts stark reduziert wurde. Wegen der schlechten Bezahlung der Projektmitarbeiter und da man die Fortbildung auch so gestalten kann, dass sie wirklich zum Vorteil der Mitarbeiter ist, kann ich darin aber nicht automatisch etwas positives sehen. Außerdem ist in einem Projekt ohne Fortbildung, Berufswegeplanung, Bewerbungstraining etc. die Existenz des Projektleiters und der Beschäftigungsgesellschaft noch fragwürdiger als bei Projekten, die diese Maßnahmen beinhalten.)

Nun könnte das JobCenter auch folgendes machen: Es könnte die 300.000 Euro direkt an die Kindergärten ihrer Stadt bzw. ihres Stadtbezirks, Landkreises etc. verteilen mit der Auflage für jeweils 15.000 Euro jeweils eine einjährige Betreuer-Stelle zu schaffen und sie mit einer arbeitslosen Frau über 55 zu besetzen. Diese Betreuerinnen würden vom ersten bis zum letzten Tage der Maßnahme in den Kindergärten arbeiten. Statt 10 x 0,75 Betreuer-Stellen würden auf diese Weise 20 x 1,0 Betreuer-Stellen geschaffen, ohne dass ein einziger Euro mehr ausgegeben würde. Durch das Einsparen der Beschäftigungsgesellschaft, des Projektleiters und der Verwaltungskraft und aller damit verbundenen Kosten könnte man die Betreuerinnen sogar besser entlohnen bzw. ein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zahlen, das Mitarbeiter des 2. Arbeitsmarkts nicht mehr erhalten. [9]

Man könnte die arbeitslosen Frauen auch vor Beginn eines solchen Projekts zwei Wochen zur Schule schicken. Auch wenn man die Kosten für eine solche Maßnahme in Betracht zieht, käme immer noch mehr als das Doppelte an Betreuungsleistung bei den Kindern an, als bei der Zwischenschaltung einer Beschäftigungsgesellschaft.


Die Leistungen, die bei den zu betreuenden Menschen ankommen, werden durch die Zwischenschaltung einer Beschäftigungsgesellschaft auf unter 50% des Möglichen reduziert und die Betreuer gleichzeitig schlechter bezahlt als bei den vorhandenen Mitteln möglich wäre.



Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass die Zwischenschaltung eines Trägers zwischen einer Institution (Kinder-, Behinderten-, Altenheim, Schulen, Krankenhäuser etc.) auf jeden Fall völlig wertlos sei. Es gibt hier nicht schwarz-weiß. Es gibt hier unterschiedliche Grautöne. Wie groß der Nutzen einer Beschäftigungsgesellschaft ist, hängt u. a. von Güte des jeweiligen Unternehmens und von dem jeweiligen konkreten Mitarbeiter ab. Aber im Antracht dessen, dass die Zwischenschaltung einer Beschäftigungsgesellschaft rund die Hälfte der finanziellen Mittel absorbiert, ist eine solche sehr bedenklich. Sie nützt in erster Linie der Beschäftigungsgesellschaft, nicht den Betreuten und nicht den Betreuern.

Zumindest müsste man sich genau überlegen, welche Menschen man direkt in eine gemeinnützige Einrichtung schickt und bei welchen eine Beschäftigung bei einer Beschäftigungsgesellschaft sinnvoll ist. Menschen ab einem bestimmten Alter benötigen keine Integrations-Anstrengungen für den 1. Arbeitsmarkt mehr. Wer gerade aus einer Umschulungsmaßnahme kommt, muss nicht gleich darauf auf Veranstaltungen einer Beschäftigungsgesellschaft das Gleiche nocheinmal lernen. Wenn man vorsortiert, könnte man die Menge der Leute, die man zu einer Beschäftigungsgesellschaft schickt zumindest beträchtlich minimieren.

Es wäre durchaus sinnvoll z. B. alkoholkranke Menschen oder Menschen mit anderen Problemen bei einer Beschäftigungsgesellschaft zu beschäftigen. Auch Menschen, die noch nie ein Bewerbungstraining absolviert haben. Dies würde allerdings voraussetzt, dass die Beschäftigungsgesellschaft auch die nötige Kompetenz zur Betreuung solcher Menschen besitzt und nachweisen kann.


7. Wie der 2. Arbeitsmarkt in Zukunft funktionieren sollte

Bis vor nicht all zu langer Zeit konnte man als Bürger nicht wählen, von welchem Strom- oder Gaswerk man seine Energie bezog, von welchem Unternehmen man seine Mülltonnen leeren ließ. Man konnte nicht entscheiden, welches Radio- oder Fernsehprogramm man sehen wollte. Da es in diesen Bereichen keinen Wettbewerb gab, waren die betreffenden Unternehmen in der Regel notorische Zuschussbetriebe, z. B. Bahn und Post. Inzwischen ist man dazu übergegangen, in diesen Bereichen Wettbewerb einzuführen. Auch wenn der Eine oder Andere über die »Zweitmiete« stöhnt, früher hat man diese Kosten faktisch über seine Steuerzahlungen getragen. Wettbewerb wird zu mehr Effizienz und damit zu niedrigeren Kosten führen. [10] (Allerdings muss dagegen vorgegangen werden, dass private Versorger ihre Monopolstellung nutzen, um die Verbraucher abzuzocken, wie es derzeit die vier deutschen Stromriesen machen! Ich bin für Marktwirtschaft, nicht für Monopolwirtschaft.)

Die zentrale Frage ist: Wie kann man in den 2. Arbeitsmarkt Wettbewerb bringen? Und zwar Wettbewerb bei der Effektivität des Einsatzes der Projekt-Mitarbeiter und der Güte ihrer Leistungen. Wettbewerb bei der Akquirierung von Projekten und dem Erlangen von Fördergeldern gibt es bereits, aber dies ist kein produktiver sondern tendenziell ein parasitärer Wettbewerb.

Nach meiner Auffassung sollten in Zukunft folgende Grundsätze den 2. Arbeitsmarkt zu Grunde liegen:

Zwischen funktionierenden Institutionen (Kindergärten, Schulen, Heimen, Krankenhäusern etc.) und dem JobCenter sollte man grundsätzlich keine Beschäftigungsgesellschaft schalten. Diese Institutionen sind bereits Arbeitgeber. Sie haben eine Lohnbuchhaltung etc. Die Direkteinstellung ist sinnvoll. Lediglich in Ausnahmefällen – wie im vorherigen Kapitel kurz ausgeführt – kann man über die Zwischenschaltung eines Trägers nachdenken.

Vereine, die sich um Projekte des 2. Arbeitsmarkts bewerben, sollten zuerst einmal nachweisen, dass sie eine wirkliche Existenz haben, dass ihre Mitglieder oder durch Vereinsmittel finanzierte Angestellte tatsächlich gemeinnützige Arbeiten leisten. (Dies trifft – um nur ein Beispiel zu nennen – im Osten Deutschlands auf die Volkssolidarität zu. Tausende von Menschen verrichten dort ehrenamtliche gemeinnützige Arbeiten.) Dann können sie zusätzlich Mitarbeiter des 2. Arbeitsmarkts beschäftigen, aber immer nur in einem Umfang der deutlich unter dem liegt, was der Verein an eigenen Aktivitäten aufweisen kann. Hier kann man erwarten, dass die ehrenamtlichen Kräfte, die große Teile ihrer Freizeit gemeinnützigen Arbeiten widmen, dafür sorgen werden, dass auch die Beschäftigten des 2. Arbeitsmarkts sinnvoll eingesetzt werden.

Wirtschaftsunternehmen sollten ihre Existenz in aller erster Linie der Tatsache verdanken, dass sie sich mit ihren Produkten auf dem Markt behaupten können. Dann können sie zusätzlich Mitarbeiter des 2. Arbeitsmarkts beschäftigen, aber immer nur in einem Umfang, der deutlich unter 50% liegt, ich würde sogar sagen maximal 20% des Umsatzes oder der Beschäftigten. Von solchen Betrieben kann man dann am ehesten erwarten, dass sie die innerbetrieblichen Strukturen, die ihnen das Überleben auf dem Markt ermöglichen, auch in die Bereiche des 2. Arbeitsmarktes übertragen.

Wo immer möglich sollten Leistungsempfänger und Geldgeber identisch sein. Die Kontrolle ist dann am besten gewährleistet. So könnte man z. B. Bedürftigen Gutscheine für Betreuungsleistungen geben, die sie bei einer Hilfsorganisation, Verein, gemeinnützigen Unternehmen etc. ihrer Wahl einlösen können. Je mehr Gutscheine eine Organisation vorweisen kann, um so größer ist ihre Möglichkeit Mitarbeiter des 2. Arbeitsmarkts zu beschäftigen. Wenn eine Organisation von der Menge der eingebrachten Gutscheinen her ihre Mitarbeiter des 2. Arbeitsmarkts nur zu 50% oder weniger ausgelastet hat, wären das Gründe für Abmahnungen und wenn keine Änderung eintritt, werden dieser Organisation keine Projekte mehr übertragen.

Grundsätzlich sollten große Verbände bevorzugt bedient werden, die durch ihre Mitgliederzahl demonstrieren, dass sie große Teile der Bevölkerung repräsentieren (Kirchen bzw. deren Institutionen, Gewerkschaften, Rotes Kreuz, im Osten Deutschlands die Volkssolidarität etc.), die also auch unabhängig von der Verwaltung von Projekten des 2. Arbeitsmarkts existieren.

Des weiteren staatlichen Einrichtungen, dort wo sie dem Gemeinwohl dienende Aufgaben ausüben. (Kindergärten, Schulen, Heime. Krankenhäuser etc.)

Die bisherige Vergabepraxis von Projekte des 2. Arbeitsmarkts hat zur Entstehung von Vereinen und Unternehmen beigetragen, die ganz oder größtenteils von der Verwaltung solcher Projekte leben. Da die Öffentliche Hand entscheidend zur Entstehung solcher Vereine und Unternehmen beigetragen hat, wäre es nicht fair und nicht sozial, sie von heut auf morgen durch den Entzug von Projekten zu ruinieren. Aber man sollte solchen Trägern klarmachen, dass sie sich im oben dargestellten Sinne verändern müssen, da sie ansonsten Auslaufmodelle darstellen.

Abschließend möchte ich noch – um nicht in einem falschen Licht dazustehen – erklären, dass ich die Markwirtschaft keineswegs wegen ihrer ökonomischen Effizienz nur positiv beurteile. Die Menschen, die in Betrieben arbeiten, die für den Markt produzieren, sind häufig einem solchen Druck ausgesetzt, dass sie z. T. schon nach 20 bis 30 Berufsjahren kaputt sind. Aber die Lösung dieses Problems kann nach meinem Gerechtigkeitsempfinden nicht darin bestehen, dass man Teile der Wirtschaft von den marktwirtschaftlichen Mechanismen befreit, die Beschäftigten dort dann tendenziell ein ruhiges Leben haben, und die größere Zahl der Beschäftigten darf sich weiterhin in den marktorientierten Unternehmen kaputtarbeiten. Der Reichtum der Gesellschaft wird zum größten Teil in den Unternehmen erarbeitet, die den Marktgesetzen unterworfen sind. Und da der Reichtum auch den auf dem 2.  Arbeitsmarkt Beschäftigten zu gute kommt, sollten auch die Härten des Arbeitslebens gerechter verteilt sein.

(In wieweit der Reichtum der Gesellschaft insgesamt gerecht verteilt ist, dass ist allerdings eine ganz andere Frage und wäre Gegenstand einer anderen Denkschrift.)



* * *


Es handelt sich bei diesem Aufsatz lediglich um einen Diskussionsbeitrag. Ich beanspruche nicht, das Problem der Effektivität der Beschäftigten des 2. Arbeitsmarkts und der Güte ihrer Leistungen abschließend geklärt zu haben.



Zur Startseite meiner Homepage



Anmerkungen

Anm. 1: Der Autor hat Wirtschaftswissenschaften und Soziologie studiert, ist Diplom-Sozialwirt und hat sowohl auf dem 1. wie auf dem 2. Arbeitsmarkt praktische Erfahrungen gesammelt. Er ist bei mehreren Beschäftigungsgesellschaften als Projektleiter beschäftigt gewesen. Zurück zum Text

Anm. 2: Das ist tendenziell und auf lange Sicht auf jeden Fall so. Kurz- und mittelfristig kann es Ausnahmen geben, da das Verhalten der Verbraucher nicht immer rational ist. Deshalb gibt es auch Beispiele dafür, dass sich über gewisse Zeiträume hinweg schlechte Produkte zu teuren Preisen halten können. Z. B. Artikel, wo man den Markenname mitbezahlt, oder wenn ein Unternehmen seine Monopolstellung ausnutzt. Im zweiten Falle ist die Marktwirtschaft allerdings auch zumindest zeitweilig bzw. partiell aufgehoben. – Betriebe gehe auch dadurch kaputt, dass die leitenden Kräfte mehr Geld ausgeben, als sie zur Verfügung haben. Das ist die vorherrschende Konkursursache bei Betrieben, die nicht den Marktgesetzen unterliegen. Zurück zum Text

Anm. 3:  Falsifikationsprinzip bedeutet, dass man versucht, eine wissenschaftliche Aussage nicht zu beweisen (Verifikationsprinzip), sondern dass man versucht, sie zu widerlegen. – Es gab gesellschaftlich-wirtschaftliche Systeme, in denen eine Firma nicht Konkurs gehen konnte. Das Ergebnis war, dass das ganze System Konkurs ging, z. B. das sowjetische System in Osteuropa. Vereinzelt existiert dieses System heute noch. Die Menschen in diesen Ländern leben in Armut und Stagnation, z. B. in Kuba. Zurück zum Text

Anm. 4: Die Menschen sind unterschiedlich fleißig, zuverlässig, engagiert, ausgebildet etc. Deshalb ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht häufig günstiger, die bewährten Arbeitskräfte länger arbeiten zu lassen, als neue Mitarbeiter einzustellen. Erstens weiß man nicht, was das für Menschen sind, die man dort neu bekommt, zweitens kann man häufig die Auftragslage in einigen Monaten oder gar in einigen Jahren nicht voraussehen. Und einmal eingestellte Mitarbeiter kann man häufig nur schwer bzw. begleitet von hohen Kosten wieder entlassen. Die betriebswirtschaftliche und die volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit von bestimmte Maßnahmen fällt häufig auseinander. Zurück zum Text

Anm. 5: Was verfassungsmäßig zwar verboten ist und deshalb offiziell nie geschah. Aber faktisch war es so. Es wurde nur mit Mitteln der Haushaltskosmetik verborgen. Zurück zum Text

Anm. 6: Es sei denn um den Preis totaler nationaler Abschottung, die fast zwangsläufig mit Tyrannei und Massenelend einhergeht, z. B. in Nordkorea, wo viele Menschen schlichtweg Hunger leiden. Zurück zum Text

Anm. 7: Auch richtige Aussagen können missbraucht werden. Wieviel Sozialstaat wir haben, hängt nicht nur davon ab, wieviel wir uns leisten können, sondern auch davon, wieviel wir uns leisten wollen. Wir haben in Deutschland inzwischen mit die niedrigsten Steuersätze in Europa. Und das wo wir die deutsche Einheit finanzieren und einen riesigen Schuldenberg abtragen müssen. Zurück zum Text

Anm. 8: Wie bei Anm. 2. Es stimmt tendenziell und auf lange Sicht auf jeden Fall. Kurz- und mittelfristig kann es Ausnahmen geben, da das Verhalten von Verbrauchern nicht immer rational ist. Zurück zum Text

Anm. 9: Wer sich etwas Projekten des 2. Arbeitsmarkts auskennt, wird bestätigen können, dass die hier genannten Zahlen ungefähr den Realitäten entsprechen. Da in den verschiedenen Regionen Deutschlands die Lohn- und Preisstruktur unterschiedlich ist, könnten die Gesamtkosten eines solchen Projekts etwas niedriger oder etwas höher sein. Zurück zum Text

Anm. 10: Um ein Beispiel zu nennen, das ich selbst häufig beobachtet habe: Die Mitarbeiter der kommunalen Müllabfuhr holen die volle Mülltonne, lehren sie und bringen sie zurück. Die Mitarbeiter der privaten Entsorger bringen eine leere Tonne mit, wenn sie die volle Tonne holen. Sie sparen damit einen Weg. Bei einem achtstündigen Arbeitstag kann sich diese Einsparung auf zwei bis drei Stunden belaufen! Wo es keinen Wettbewerb und damit keinen Zwang zur Effektivität gibt, kommen die Leute nicht auf so simple Einfälle. Zurück zum Text


Zur Startseite meiner Homepage


Copyright © by Peter Möller, Berlin.