Marxistische Theorie und realsozialistische Praxis


»Welche historische Bewegung, die sich vorgenommen hat, die Gesellschaft zu verändern, hat keine grauen, ja schwarze Zeiten erlebt? Wir dürfen uns nicht davor fürchten, dass wir selbst diejenigen sind, die diese Realität erläutern.« [1] Santiago Carrillo




Der Stalinismus

Geschichte – Ursachen – Hintergründe

Dies ist eine überarbeitete und für das Internet erstellte Fassung meiner Diplom-Arbeit von 1979. Sie kann nach meiner Auffassung auch heute noch interessante Informationen bieten. Es steht hier aber auch manches, was heute nicht mehr meinen Vorstellungen entspricht. Als ich diese Arbeit schrieb, war ich noch Kommunist, wenn auch ein zunehmend kritischer Kommunist. In den Jahren 1982/83 habe ich aufgehört Kommunist zu sein. (Siehe auch die Anmerkung zum Vorwort von 1991 und die diese Arbeit betreffenden Absätze in meinen Memoiren.)



  1. Einleitung
  2. Marx und Engels über den Sozialismus
  3. Asiatische Produktionsweise und Realer Sozialismus
  4. Das zaristische Russland
  5. Lenin
  6. Die Oktoberrevolution und ihre Folgen
  7. Psychologische Aspekte
  8. Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

1.1. DEFINITION DES »STALINISMUS«

Unter Stalinismus verstehe ich nicht nur die Verbrechen, die in den 20er, 30er und 40er Jahren in der Sowjetunion begangen wurden, sondern ich verstehe darunter die in dieser Zeit entstandenen und bis heute existierenden allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen. Stalinismus ist für mich die Bezeichnung eines Gesellschaftssystems.

Die ökonomische Basis dieser Gesellschaft ist gekennzeichnet durch faktisches Staatseigentum an den Produktionsmitteln. Die Masse des Volkes steht dem Staatsapparat eigentumslos gegenüber und hat auf die Wirtschaftsplanung im großen Rahmen keinen Einfluss. Es existieren weiterhin Ware, Lohnarbeit und Geld. Die Arbeitsteilung wird weiter forciert und damit auch die Entfremdung der Arbeit fortgeschrieben. In dieser Gesellschaft existieren aber eine ganze Reihe ökonomischer Gesetze des Kapitalismus nicht. Es ist deshalb falsch, von »Staatskapitalismus« zu reden. (Zum Beispiel steht im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens nicht die Produktion von Mehrwert.)

Da aber nicht einmal ansatzweise die Subalternität, die Entfremdung, die Unterdrückung und Ausbeutung der unmittelbaren Produzenten beseitigt ist, kann man auch nicht von einem mehr oder weniger verzerrten Sozialismus reden. Es ist eine ökonomische Formation eigener Art, die weder auf Kapitalismus, noch auf Sozialismus reduzierbar ist.

Der politisch-ideologische Überbau dieser Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die Existenz eines zentralisierten und hierarchisch aufgebauten Staatsapparates mit hauptamtlichen Funktionären, stehendem Heer und zentralisierter Polizei. Die Machtzentrale ist das Politbüro, eine Art kollektiver Despot, welches weder von der Bevölkerung, noch von der Masse der Parteimitglieder gewählt, kontrolliert und abgesetzt werden kann. Bürgerliche Rechte und Freiheiten existieren nicht. Es gibt einen Absolutheitsanspruch des »Marxismus-Leninismus« (bzw. was man dort daraus gemacht hat) mit der ständigen Tendenz zur Inquisition.

Die Klassenspaltung der Gesellschaft, letztlich durch die Arbeitsteilung verursacht, wurde nicht überwunden. Während die unmittelbaren Produzenten von wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Macht ferngehalten werden und unter Bedingungen produzieren, die denen im Kapitalismus sehr ähnlich sind, bilden die Funktionäre der Partei-, Staats- und Wirtschaftsbürokratie eine pyramidenförmig aufgebaute, herrschende und privilegierte Kaste, die der Masse des Volkes tendenziell antagonistisch gegenüber steht und wie jede andere herrschende Klasse oder Schicht in Vergangenheit und Gegenwart zuallererst das Interesse hat, sich selbst ständig zu reproduzieren und keine Entwicklung zuzulassen, in der ihre Macht und ihre Privilegien eingeschränkt oder gar ihre ganze Existenz in Frage gestellt wird.

Die ursprüngliche Motivation, mit der die Bolschewiki einst angetreten sind, ist aber nicht vollständig verschwunden. Mit dem Kommunismus passierte etwas ähnliches wie mit dem Christentum. Er wurde zu einer säkularen, atheistischen Religion erhoben, während man im täglichen Leben häufig das direkte Gegenteil der kommunistischen Ideale praktiziert.


1.2. TOTALITARISMUSTHEORIE UND PERSONENKULTTHEORIE

Zu Beginn will ich kurz auf zwei Stalinismuserklärungen hinweisen, mit denen ich mich in diesem Referat nicht näher beschäftigen werde.

1. Die »Totalitarismustheorie« beschreibt losgelöst von der sozial-ökonomischen Basis, losgelöst von der Frage, welchen Platz eine Gesellschaft in der Gesamtentwicklung eines Landes einnimmt, bestimmte Erscheinungen, wie Arbeitslager, Machtanspruch einer Ideologie, staatlicher Terror u. ä., und kommt dann zu dem Ergebnis: Stalinismus gleich Faschismus. Eine solche Erklärung ist meiner Meinung nach unwissenschaftlich, zumindest aber unmarxistisch. Trotz aller Ähnlichkeiten was Verbrechen und Unterdrückung angeht, Stalinismus und Faschismus sind für mich zwei unterschiedliche Gesellschaftssysteme.

2. Ebensowenig überzeugt mich die »Theorie vom Personenkult«, die besagt, dass es sowas wie Stalinismus gar nicht gäbe und auch gar nicht gegeben habe. Es sei zwar in der Zeit Stalins in der Sowjetunion zu einigen »groben Verstößen gegen die demokratische Gesetzlichkeit« gekommen und es habe sich ein »Personenkult um Stalin« entwickelt [2], aber dies sei längs überwunden und alles was dazu gesagt werden müsse, sei im »Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU über die Überwindung des Personenkults und seiner Folgen« (30. Juni 1956) gesagt, und jede weitere Diskussion darüber nütze ausschließlich der Bourgeoisie. [3]

Hinter einem Satz wie »grobe Verstöße gegen die demokratische Gesetzlichkeit« verbirgt sich immerhin die Ermordung einiger Millionen Menschen, darunter hunderttausender Kommunisten und fast der ganzen alten Garde der Bolschewiki, der Mitkämpfer Lenins. [4] Und man versucht zu vertuschen, dass sich in der Sowjetunion gesellschaftliche Strukturen entwickelt haben, die den Sozialismusauffassungen von Marx, Engels und Lenin, auf die man sich im realen Sozialismus nach wie vor beruft, total widersprechen.

Auch diese Erklärung hat meiner Überzeugung nach apologetischen Charakter. Sie dient zur Rechtfertigung und Vertuschung der im realen Sozialismus neu entstandenen Herrschaftsverhältnisse.

Mir geht es im folgenden darum, Erklärungsansätze von Personen zu vergleichen, die sich sowohl dem kapitalistischen wie dem realsozialistischen System gegenüber kritisch verhalten und von der Basis einer materialistischen Geschichtsauffassung aus die Entwicklung in der Sowjetunion zu erklären versuchen. Das sind Leo Trotzki, Wilhelm Reich, Rudi Dutschke, Jean Elleinstein und Rudolf Bahro.


1.3. MEINE STELLUNG ZUM MARXISMUS

Dass ich mich in der Arbeit, insbesondere was die Vorgeschichte der Sowjetunion betrifft, stark an Marx und Engels orientiere, hat keine dogmatischen Gründe. Bei der Beschäftigung mit dem Marxismus, wie auch bei der Beschäftigung mit jeder anderen Theorie, bemühe ich mich darum, immer das vor Augen zu behalten, was Engels in seiner Auseinandersetzung mit Herrn Eugen Dührings endgültigen Wahrheiten letzter Instanz über die Erkenntnisse der Menschen schrieb: »Das wertvollste Resultat dürfte dies sein, uns gegen unsere heutige Erkenntnis äußerst misstrauisch zu machen, da wir ja aller Wahrscheinlichkeit nach so ziemlich am Anfang der Menschheitsgeschichte stehen, und die Generationen, die uns berichtigen werden, wohl viel zahlreicher sein dürften, als diejenigen, deren Erkenntnis wir – oft genug mit beträchtlicher Geringschätzung – zu berichtigen im Falle sind.« [5]

Der Marxismus ist für mich kein nichthinterfragbares Dogma, sondern ein sehr wertvoller Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaften und eine Anleitung zum selbständigen Weiterdenken.


2. MARX UND ENGELS ÜBER DEN SOZIALISMUS

Ich will in diesem Kapitel darlegen, was Marx und Engels als unabdingbare Voraussetzungen für das Gelingen einer sozialistischen Revolution ansahen und wie sie sich die grundlegende Beschaffenheit einer sozialistischen Gesellschaft vorstellten. Ich mache dies aus drei Gründen:

  1. Die Herrschenden im realen Sozialismus berufen sich (meiner Überzeugung nach zu Unrecht) auf Marx und Engels und müssen sich von daher auch gefallen lassen, an ihnen gemessen zu werden.
  2. Ich halte die Auffassungen von Marx und Engels zu großen Teilen nach wie vor für richtig.
  3. Die Theorie von Marx gehört, wie Bahro schreibt »zu den objektiven (in einer realen Bewegung objektivierten) Voraussetzungen, die in die Revolutionen seit 1917 eingegangen sind.« [1] Der Marxismus ist zu einer wichtigen Ursache für die geschichtliche Entwicklung geworden, auch wenn diese anders abgelaufen ist, als es der Marxismus prognostizierte. (Vom Standpunkt einer materialistischen Geschichtsauffassung gesehen, weicht natürlich nicht die Wirklichkeit von der Theorie ab, sondern die Theorie von der Wirklichkeit.)

2.1. VORAUSSETZUNGEN DER REVOLUTION

Engels schreibt im Anti-Dühring, solange die Produktivkräfte sowenig entwickelt seien, dass die Menschen fast alle Zeit ihres Lebens zur Produktion der notwendigen Lebensmittel aufwenden müssten, solange sei eine Steigerung der Produktivkräfte, Ausdehnung des Verkehrs, Entwicklung von Staat und Recht, Begründung von Philosophie, Wissenschaft und Kunst, nur möglich, vermittels einer kleinen privilegierten Schicht, die, von der unmittelbaren Produktion befreit, sich ausschließlich der Kopfarbeit widmen könne. Jeder Fortschritt der Produktivkräfte habe zur Voraussetzung eine Ausdehnung der Arbeitsteilung und solange dies der Fall sei, würde sich die Gesellschaft notwendig in Klassen teilen. Erst auf einer sehr hohen Entwicklungsstufe der Produktivkräfte, wie sie der Kapitalismus hervorbringen würde, werde es möglich sein, einen so hohen Überschuss über das Notwendige hinaus zu produzieren, dass die Arbeitszeit aller Menschen soweit verkürzt werden könne, dass sie neben der notwendigen Produktion auch noch Zeit für die Leitung der allgemeinen Angelegenheiten und zur Beschäftigung mit Philosophie, Wissenschaft und Kunst hätten. [2]

Erst auf einer solchen Stufe werde es dann auch möglich sein, die Arbeitsteilung, insbesondere zwischen Kopf- und Handarbeit, zu überwinden. Ohne diese Überwindung der Arbeitsteilung sei der Kommunismus nicht realisierbar. [3]

Ein anderer als der kapitalistische Weg zur Industriegesellschaft kommt bei Marx und Engels nicht vor. Eine sozialistische Revolution ist nach ihren Vorstellungen nur dann möglich, wenn, wie Marx schreibt, »das industrielle Proletariat wenigstens eine bedeutende Stellung in der Volksmasse einnimmt« [4] und wenn es, wie Engels schreibt, eine Bourgeoisie gibt, in deren Händen sich die Produktivkräfte soweit entwickelt haben, »dass die Abschaffung der Klassenunterschiede ein wirklicher Fortschritt, dass sie von Dauer sein kann.« [5]

Nach Marx und Engels ist der Wille allein nicht ausreichend. Die ökonomischen Verhältnisse müssen den Sozialismus möglich machen.

Engels schreibt in den Grundsätzen des Kommunismus: »Die kommunistische Revolution ... wird eine in allen zivilisierten Ländern ... gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein.« [6] Durch die Entstehung des Weltmarktes seien die Völker in solch enge Verbindung gebracht, dass keines unabhängig von anderen seine innere Entwicklung gestalten könne. Der Aufbau des Sozialismus in einigen Ländern, bei Weiterexistenz des Kapitalismus in anderen hochindustrialisierten Ländern, war für Marx und Engels undenkbar.

Den unterentwickelten Völkern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und auch Russlands, trauten Marx und Engels gar keine eigenständige Rolle beim Menschheitsfortschritt zu. Diese Völker könnten nur mit Hilfe der bereits sozialistisch gewordenen hochindustriealisierten Länder zum Sozialismus gelangen. Bestenfalls könnten Aufstände der abhängigen und kolonial unterdrückten Völker zum auslösenden Punkt für die proletarische Weltrevolution werden. [7]

Durch die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise wachse das Elend der Proletarier immer stärker an. Im Kommunistischen Manifest schreiben Marx und Engels: »Der moderne Arbeiter .., statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab.« [8] Die Bourgeoisie ist unfähig, »ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern.« [9] Diese Verelendung führt dazu, dass das Proletariat eines Tages gezwungen sein wird, den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Es ist also nach Marx und Engels überhaupt keine Frage, ob die Arbeiter wollen, sie werden eines Tages die Revolution machen müssen!

Die Verelendungstheorie ist später, nach Marxens Tod, von Engels eingeschränkt worden. 1891 schrieb Engels: »Die Organisation der Arbeiter, ihr stets wachsender Widerstand wird dem Wachstum des Elends möglicherweise einen gewissen Damm entgegensetzen. Was aber sicher wächst, ist die Unsicherheit der Existenz.« [10] (Engels scheint aber nicht bemerkt zu haben, dass hiermit auch der Zwang zur Revolution wegfällt.)


2.2. DIE GRUNDSTRUKTUREN DES SOZIALISMUS

Über den Zustand nach der proletarischen Revolution schreibt Engels im Anti-Dühring: »Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat.« [11] Nach der proletarischen Revolution sollte es nach Marx und Engels keinen Staat mehr geben, sondern nur etwas staatsähnliches. Engels schrieb in einen Brief an Bebel im Zusammenhang mit der Kritik am Gothaer Programmentwurf: »Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallenlassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war ... Wir würden daher vorschlagen, überall statt Staat Gemeinwesen zu setzen.« [12]

Der Staat entstand der marxistischen Theorie nach aus dem Bedürfnis, Klassenkämpfe zu unterdrücken oder zumindest in geordnete Bahnen zu lenken. Er sei in der Regel das Instrument der ökonomisch herrschenden Klasse gewesen, die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wurde. [13]

Der »proletarische Staat« sollte nur die Aufgabe haben, nach der Revolution die Überreste der Bourgeoisie zu unterdrücken. In dem Maße, wie sich die neue Gesellschaft entwickele, würde er schrittweise absterben, wie Engels im Anti-Dühring schreibt: »Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem anderen überflüssig und schläft dann von selbst ein.« [14]

Um zu erfahren, wie die öffentliche Gewalt in der nachrevolutionären Gesellschaft nach Marx und Engels aussehen sollte, können wir neben dem Anti-Dühring und der Kritik am Gothaer Programmentwurf auf Marxens Schrift über die Pariser Kommune Der Bürgerkrieg in Frankreich und der von Engels verfassten Einleitung zu dieser Schrift aus dem Jahre 1891 zurückgreifen.

Marx sah in der Kommune die »endlich entdeckte politische Form unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.« [15] Vor dem Generalrat der Internationale vertraten Marx und Engels die Ansicht, »Die Prinzipien der Kommune seien ewig und könnten nicht zerstört werden; sie werden sich immer wieder und wieder durchsetzen, bis die Arbeiterklasse befreit ist.« [16] Die Kommune hatte für Marx und Engels (und auch für Lenin, siehe 5. Kapitel) Modellcharakter. Dies will man im realen Sozialismus heute aus verständlichen Gründen nicht mehr wahrhaben.

An die Stelle der bisherigen Beamten im kapitalistischen Staatsapparat sollten in der Kommune auf allen Gebieten und Ebenen der öffentlichen Verwaltung, Polizei, Justiz, Bildung, Wissenschaft, Kultur, Volksvertretungen u. ä. die, durch eine Vielzahl von allgemeinen und geheimen Wahlen gewählten, effektiv kontrollierbaren und jederzeit absetzbaren Delegierten treten. Diese Delegierten sollten aus ihrer Stellung keinerlei Privilegien ziehen. Engels weist darauf hin, dass die Staatsorgane immer ihre Sonderinteressen zur Geltung gebracht hätten, und deshalb sich die Arbeiter gegen ihre eigenen Beamten sichern müssten. Dazu benutzten sie »zwei unfehlbare Mittel. Erstens besetzten sie alle Stellen, verwaltende, richtende, lehrende durch Wahl nach allgemeinen Stimmrecht der Beteiligten und zwar auf jederzeitigen Widerruf durch die selben Beteiligten. Und zweitens zahlten sie für alle Dienste, hohe wie niedrige, nur den Lohn den andere Arbeiter empfingen ... Damit war der Stellenjägerei und dem Strebertum ein sicherer Riegel vorgeschoben.« [17]

Es sollte keine neue, nun Delegiertenhierarchie entstehen. Nichts konnte »dem Geist der Kommune fremder sein, als das allgemeine Stimmrecht durch hierarchische Investitur zu ersetzen.« [18]

An die Stelle der Armee sollte die allgemeine Volksbewaffnung treten [19] und die zentralisierte Polizei sollte durch eine den Kommunen unterstellte Polizei abgelöst werden. [20]

Hätte die Kommune länger existiert und sich auf ganz Frankreich ausgedehnt, dann hätte sich die Bevölkerung in selbstverwaltete Kommunen organisiert, die sich auf freiwilliger Basis zu einer Nation vereinigt hätten. Mehrere solcher Nationen würden sich dann in Förderationen vereinigen. Die Funktionen der Zentralregierungen würden auf das Bedeutenste beschränkt und an kommunale, streng verantwortliche Beamte übertragen. [21]

Vom Absolutheitsanspruch einer Ideologie, von der Herrschaft einer Partei, geschweige denn eines Parteiapparates, ist nirgends die Rede.

Ein solches System ist, wie Marx schrieb: »... die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft als ihre eigene lebendige Macht ... das ist die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Volksmassen selbst.« [22]

Die Produktionsmittel sollten weder dem Staat noch den einzelnen Arbeitern gehören, sondern der ganzen Gesellschaft. [23] Im Konzept der pariser Kommunarden sollte, ähnlich wie die Kommunen die Grundlage der Gesellschaft, die von Arbeiterräten geleiteten Produktivgenossenschaften die Grundlage der Produktion sein. Diese Genossenschaften würden sich zu einem großen Verband vereinigen und die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln. Eine staatliche Planungsbürokratie war nicht vorgesehen. [24]

Durch die Vergesellschaftung verlören die Produktionsmittel sofort ihre Wertform, reduzierten sich auf Gebrauchswerte. Dadurch würden Warenproduktion, Lohnarbeit und Geld fortfallen. [25] Solange das Leistungsprinzip noch gelten würde, bekämen die Arbeiter einen Schein, aus dem hervorgeht, wieviel Arbeit sie geleistet haben und welcher Anteil am Konsumgüterfond ihnen daher zusteht. Aber dies sei kein Geld mehr. [26]

Und das Leistungsprinzip sollte nicht so aussehen, dass diejenigen mit einer hohen Qualifikation mehr verdienen als die mit einer niedrigeren Qualifikation. Wie Engels im Anti-Dühring schreibt, trüge im Sozialismus die Allgemeinheit die Ausbildungskosten und darum hätte der Einzelne auf Grund höherer Qualifikation keinen Mehranspruch. Das Leistungsprinzip sollte so wirken, dass, wenn Arbeiter der gleichen Qualifikationsstufe unterschiedlich fleißig oder geschickt sind, sie unterschiedlich belohnt werden. [27]

Das Leistungsprinzip sollte solange gelten, bis die Produktivkräfte und das Bewusstsein der Menschen so weit entwickelt seien, dass die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben könnte: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« [28]

Ohne den folgenden Kapiteln vorzugreifen, können wir schon hier festhalten, dass erstens die zu Beginn des Kapitels aufgezählten Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution in Russland nicht vorhanden waren, und dass zweitens die gesellschaftlichen Verhältnisse im realen Sozialismus, die ökonomischen wie die politischen, den Sozialismusauffassungen von Marx und Engels total widersprechen.


3. ASIATISCHE PRODUKTIONSWEISE UND REALER SOZIALISMUS

3.1. DIE ASIATISCHE PRODUKTIONSWEISE

In seiner Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats beschränkt sich Engels leider auf die Völker, die den europäischen Weg über Sklaverei, Feudalismus und Kapitalismus gegangen sind. Die asiatischen Völker klammert er aus. Engels bezeichnet in dieser Schrift die Sklaverei als »die erste große Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen.« [1] Auf diese Äußerung baute später der Stalinismus seine dogmatische These von den fünf ökonomischen Epochen auf. (Urgesellschaft, Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus/Kommunismus) [2]

Marx schrieb 1859 im Vorwort Zur Kritik der politischen Ökonomie: »In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformationen bezeichnet werden.« [3] Engels schreibt im Anti-Dühring über die der Sklaverei vorhergehenden ökonomischen Verhältnisse: »Die alten Gemeinwesen, wo sie fortbestanden, bilden seit Jahrtausenden die Grundlage der rohesten Staatsform, der orientalischen Despotie, von Indien bis Russland.« [4] Engels scheint diese orientalischen Despotien aber nicht als selbständige ökonomische Formation oder als Klassengesellschaft zu betrachten, sondern als Endphase der Urgesellschaft.

Nach Bahro ist die asiatische Produktionsweise eigentlich »keine fertige Formation, sondern das Verbindungsglied zwischen der patriarchalischen Endphase der Urgesellschaft und den Klassengesellschaften Asiens.« [5] Und er schreibt weiter, dass Marx, nachdem er die asiatische Produktionsweise in den Grundrissen untersucht hatte, er diese später nicht mehr als Klassengesellschaft betrachtet habe, weil sich in ihr das Gemeineigentum an Produktionsmitteln nicht in Privateigentum verwandelt hat. Dies würde dann auch die Äußerung von Engels erklären.

Unabhängig davon, ob man die asiatische Produktionsweise als Klassengesellschaft bezeichnen will oder nicht, kann man folgendes festhalten: Es hat lange vor der Existenz der großen Sklavenhaltergesellschaften, Systeme mit großer sozialer Differenzierung gegeben.

Die Analyse der asiatischen Produktionsweise hat heute an Bedeutung zugenommen und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben Revolutionen mit sozialistischem Anspruch bisher fast nur in Ländern gesiegt, die sich auf einer mehr oder weniger modifizierten oder sich im Verfall befindlichen Form der asiatischen Produktionsweise befanden. Zweitens gibt es zwischen der asiatischen Produktionsweise und dem realen Sozialismus eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Die Analyse der asiatischen Produktionsweise schärft den Blick für die Analyse des realen Sozialismus.

Die Kennzeichen einer originären asiatische Produktionsweise sind:

  1. Kein Privateigentum am Boden
  2. Autarke Dorfgemeinschaften
  3. Despotische Herrschaft
  4. Sozial-ökonomische Stagnation [6]
1. Die asiatische Produktionsweise entstand vorwiegend dort, wo der Übergang zum Privateigentum an Grund und Boden nicht realisiert werden konnte. Dies kann verschiedene Gründe haben. Meist lag es daran, dass die landwirtschaftliche Produktion von überregionalen Produktionsvorbereitungen (z. B. Damm- oder Kanalbauten) abhängig war. Ein weiterer Grund konnte sein, dass das Land häufig überflutet wurde und so eine Abgrenzung und Aufteilung auf Dauer nicht möglich war. Obwohl das Land offiziell Eigentum der jeweiligen Gemeinde war, wurde es de facto zum Eigentum derer, die die überregionalen Arbeiten organisierten und in Form der Aushebung von Arbeitskräften und Naturalsteuer die Bauern ausbeuteten.

In den Grundrissen schreibt Marx, dass »in den meisten asiatischen Grundformen, die zusammenfassende Einheit, die über alle diese kleinen Gemeinwesen steht, als der höhere Eigentümer, als der einzige Eigentümer erscheint« und »der Einzelne dann in fact eigentumslos ist.« [7] Auch im 3. Band des Kapitals steht über Asien: »Der Staat ist hier der oberste Grundherr.« [8]

Wir sehen an diesem Beispiel, dass die Produktionsmittel pro forma Gemeineigentum sein können, letztlich aber doch dem Staat gehören und die staatlichen Funktionäre darüber verfügen.

2. Im ersten Band des Kapitals beschreibt Marx die autarke Dorfgemeinde am Beispiel der indischen Gemeinwesen. »Sie bilden sich selbstgenügende Produktionsganze ... Die Hauptmasse der Produkte wird für den unmittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde produziert nicht als Ware.« [9] Der überwiegende Teil der Mitglieder der Gemeinde arbeitet in der Landwirtschaft und webt und spinnt für den Eigenbedarf. Daneben gibt es einen Bürgermeister, einen Polizisten, einen Lehrer, einen Schmied und andere Handwerker u. ä. Durch geplante Arbeitsteilung wird eine fast vollständige Autarkie erreicht und dadurch eine fast naturgegebene Isolation erzeugt. Engels schreibt in seinem Artikel Soziales aus Russland: »Eine solche vollständige Isolierung der einzelnen Gemeinden voneinander, die im ganzen Lande zwar gleiche, aber das gerade Gegenteil von gemeinsamen Interessen schafft, ist die naturwüchsige Grundlage für den asiatischen Despotismus; und von Indien bis Russland hat diese Gesellschaftsform, wo sie vorherrschte, ihn stets produziert.« [10] Die Autarkie der Dorfgemeinden hat in den typisch asiatischen Produktionsweisen aber ihre Grenzen in den überregionalen Produktionsvorbereitungen.

3. Asiatische Produktionsweisen entstanden vorwiegend dort, wo die Menschen aus geographischen Gründen zur »großen Kooperation« gezwungen waren, in Gebieten wo Bewässerungskanäle oder Dämme gebaut werden mussten, wie z. B. in Ägypten und Indien. Mit Kanal- und Dammbau konnten einzelne Familien oder Stämme nicht fertig werden. Dies machte die periodische Zusammenfassung von mehreren Gemeinwesen erforderlich, die dann unter einer zentralen Führung diese Arbeiten bewältigten.

Engels schreibt in einem Brief an Marx über die Frage warum sich in Asien kein Privateigentum herausbilden konnte: »Ich glaube, es liegt hauptsächlich am Klima, verbunden mit den Bodenverhältnissen ... Die künstliche Bewässerung ist hier erste Bedingung, und diese ist Sache entweder der Kommunen, Provinzen oder der Zentralregierung.« [11]

Die gemeinsame Arbeit musste organisiert werden. Es mussten Vorräte angelegt werden, es musste Wissenschaft über den Fluss, über Kanalbau und Landwirtschaft betrieben werden. Die Menschen mussten, da sie von Natur aus nicht fleißig sind, angetrieben werden. [12] Diese Leitungsarbeit, letztlich die Kopfarbeit, wurde von der sich herausbildenden Priester- und Beamtenkaste verrichtet. Durch die Lebensnotwendigkeit dieser Arbeiten bekamen sie große Machtmittel in die Hände. Diese Macht wurde dann zusätzlich religiös untermauert.

Es gab eine sehr enge Verflechtung von Wirtschaft und Politik. Marx schreibt in seinem Artikel Die britische Herrschaft in Indien: »Hier hängen die Ernten ebenso von guten und schlechten Regierungen ab, wie sie in Europa mit guten und schlechten Jahreszeiten wechseln.« [13] (Das kommt einem doch ziemlich bekannt vor!)

Die Priester und Beamten verfügten über die Produktionsmittel, über die Arbeitskräfte und das gesamte Mehrprodukt. Die Arbeit der Bauern war in der Regel stark reglementiert und religiös sanktioniert. Allgegenwärtig waren Zwangsmaßnahmen und Spionage. Dabei war es oft so, dass alle Menschen eine bestimmte soziale Grundabsicherung hatten. Der Despot war der Vater des Volkes (und Stalin Vater aller Werktätigen), er hatte väterliche Gewalt über seine Untertanen, aber ließ für gewöhnlich keines seiner Kinder verhungern. (Ausnahmen gibt es natürlich.) Oft war es auch so, dass der Aufstieg in die herrschende Klasse der Priester und Beamten prinzipiell für jeden offen war, der entsprechende Fähigkeiten hatte und sich dem jeweiligen Despoten gegenüber loyal verhielt. Dies gab diesem Herrschaftssystem zusätzliche Stabilität. Im dritten Band des Kapitals schreibt Marx: »Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutensten Männer der beherrschten Klasse in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.« [14]

4. Marx schreibt im ersten Band des Kapitals: »Der einfache produktive Organismus dieser selbstgenügenden Gemeinwesen, die sich beständig in der selben Form reproduzieren und, wenn zufällig zerstört, an dem selben Ort, mit dem selben Namen, wieder aufbauen, liefert den Schlüssel zu dem Geheimnis der Unveränderlichkeit asiatischer Gesellschaften.« [15] Städte mit Bürgertum konnten sich neben diesen autarken Dorfgemeinden nicht entwickeln, da sie keine ökonomische Grundlage hatten. So entstanden Städte nur als Garnisonsorte mit Beamtenschaft und Militär und natürlich die Hauptstadt als Sitz des Despoten. Im günstigsten Fall kam es zu Städtegründungen an Orten, wo gute Möglichkeiten für ausländischen Handel bestanden.

Dies sind die Gründe dafür, dass sich in der asiatischen Produktionsweise keine Bourgeoisie und damit kein Kapitalismus entwickeln konnte. Bahro schreibt, dass »der Feudalismus entscheidend dadurch charakterisiert (ist), dass er immanent die Bedingungen seiner revolutionären Ablösung durch den Kapitalismus erzeugt.« [16] Und gerade dies ist in der asiatischen Produktionsweise nicht der Fall. Und dies ist der entscheidende Punkt für ihre Jahrtausende lange Stagnation.

Die ersten asiatischen Produktionsweisen waren die Theokratien der Sumerer und Ägypter. Die Despotien, einmal entstanden, verselbständigten sich teilweise in einem Maße, dass sie Dinge anordnen konnten, die nicht den geringsten ökonomischen Wert hatten, z. B. der Pyramidenbau in Ägypten. Die Theokratien waren aber nicht die einzigen asiatischen Produktionsweisen. Bei den Völkern, bei denen die »Große Kooperation« nicht das Bewässerungswesen, sondern die gemeinsamen Eroberungskriege und die kollektive Unterdrückung fremder Völker war, kam ein Kriegskönig als Despot an die Spitze, z. B. bei den Mongolen. Am stabilsten sind jedoch die asiatischen Produktionsweisen gewesen, deren Ursachen direkt in ökonomischen Zwängen lagen.


3.2. DIE ÄHNLICHKEITEN MIT DEM REALEN SOZIALISMUS

Besonders interessiert mich an der asiatischen Produktionsweise das Herrschaftssystem, die Organisation der herrschenden Klasse und ihr Verhältnis zu den unterdrückten Massen, sowie die Aufgabe des Staates im Wirtschaftsprozess, denn hier gibt es viele Parallelen zum realen Sozialismus.

Wir haben hier eine herrschende Klasse, die sich nicht auf dem Boden von Privateigentum an den Produktionsmitteln gebildet hat. Die Produktionsmittel sind de jure Gemeineigentum. Da aber die staatlichen Funktionäre über sie verfügen, sind sie faktisch Staatseigentum.

Die herrschende Klasse der Priester und Beamten, sprich der Ideologen und der zivilen und militärischen Bürokraten, ist pyramidenförmig aufgebaut und an der Spitze steht der Despot. Bahro schreibt: »Der Despot (ist) ja nur die repräsentative und administrative Spitze einer herrschenden Klasse, die über die Kirchen- und Staatsbürokratie abwärts bis zu den Steuereintreibern und Dorfältesten sowie zu den Vorstehern der staatsobligatorischen Kaufleute- und Handwerker-Kooperationen reicht. Es handelt sich um eine als ideologischer und administrativer Staatsapparat organisierte herrschende Klasse.« [17]

Die unteren Teile dieser Staatshierarchie sind oft noch von der Bevölkerung gewählt und besitzen auch nur bescheidene Privilegien. Der Aufstieg in die herrschende Klasse ist leichter, als in Klassengesellschaften, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln gegründet sind.

Der Staat hat eine wichtige Aufgabe im Wirtschaftsprozess. Seine Beamten sind Planer und Leiter des Produktionsprozesses. Sie leisten die Kopfarbeit, verfügen über die Produktionsmittel, über die Arbeitskräfte und über das ganze Mehrprodukt. Sie eignen sich auch einen Teil des Mehrprodukts für persönliche Privilegien an. Sie sind also Ausbeuter. Die Privilegien, die sie besitzen, sind aber an ihre Funktion gebunden, vererbbar sind sie oft nicht.

Die Ausbeutung der Hand- durch die Kopfarbeit ist die älteste Ausbeutungsweise. Sie existierte lange vor der Entstehung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und sie dauert auch nach der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln an.

Bahro weist darauf hin, »dass Marx die Herrschaft der Kopfarbeit über die Handarbeit zwar stets als wesentliches Moment der Klassengesellschaft betrachtete, aber in der Kontroverse mit Bakunin die Möglichkeit, dass ihr eine selbständige Bedeutung zukommen könnte, zumindestens für die Epoche jenseits des Kapitalismus abwies.« [18] Hier hat die geschichtliche Entwicklung Marx widerlegt.

Die Ursache für die Ähnlichkeiten zwischen der asiatischen Produktionsweise und dem realen Sozialismus liegen nach Bahro weniger darin, dass die meisten realsozialistischen Länder vor ihrer Umgestaltung auf dem Boden einer mehr oder weniger modifizierten Form der asiatischen Produktionsweise standen (dies komme nur verstärkend hinzu), sondern darin, dass es auf grund ähnlicher ökonomischer Probleme in den Übergangsgesellschaften zwischen Kommunismus und entwickelter Klassengesellschaft zu ähnlichen Herrschaftsformen kommt. »Das einstmals ›vorwärts‹ und nun ›rückwärts‹ zu durchschreitende Übergangsstadium zwischen Kommunismus und entwickelter Klassengesellschaft ist beide male gekennzeichnet durch eine spezifische, unmittelbar aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Kooperation erwachsene Funktion des Staates. Verstaatlichte, nicht mehr gemeinschaftliche bzw. noch nicht vergesellschaftlichte Produktivkräfte machen das charakteristische dieser beiden Epochen aus.« [19]

Nach Bahros These werden also alle Völker, unabhängig vom Entwicklungsstand ihrer Produktivkräfte und ihrer sonstigen demokratischen und kulturellen Traditionen eine Phase durchlaufen müssen, in der die Herrschaft faktisch von den Bürokraten oder Technokraten ausgeübt wird, auch die Länder Westeuropas. Aber diese Übergangsgesellschaft kann in sehr verschiedenen Variationen erscheinen. In ihr können auch die Errungenschaften der bürgerlichen Epoche aufgehoben werden. Ich werde hierauf in den Schlussbemerkungen noch genauer eingehen.


4. DAS ZARISTISCHE RUSSLAND

4.1. ZEITTAFEL

878–1169: Kiewer Reich. Anfänglich ein loser Verband ostslawischer Stämme, zusammengehalten von den Kiewer Fürsten. Die Oberschicht war normanisch und nahm im 10. Jahrhundert die slawische Sprache an. Zu einer starken Zentralgewalt kam es nicht.

Ab 988 nimmt Russland das Christentum griechisch-orthodoxer Richtung an. Dadurch wird es in sehr starkem Maße von der kulturellen Entwicklung des »lateinischen« Europas abgekoppelt.

1169–1240: Zeit der Teilfürstentümer. Die verschiedenen Landesteile entwickeln sich unterschiedlich. Nowgorod, stark im Außenhandel engagiert, gibt sich eine demokratische Verfassung. Ansonsten überwiegen monarchistische und aristokratische Herrschaftsformen. Der Großfürst hat nur Macht in seinem eigenen Gebiet. Kirchlich blieb die Einheit des Reiches erhalten.

1240–1480: Mongolenherrschaft. Die Fürstentümer bleiben unter der Oberhoheit der Mongolenchane erhalten und die Fürsten treiben für sie den Tribut ein.

Mitte des 14. Jahrhunderts geht aus dem Kampf um den Großfürstentitel das bis dahin völlig bedeutungslose Moskau als Sieger hervor.

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden westliche und südwestliche Teile Russlands durch die litauischen Großfürsten von der Mongolenherrschaft befreit. Diese Teile werden von der westeuropäischen Kultur beeinflusst. Hierdurch kommt es zur Spaltung der Russen (Ostslawen) in Ukrainer, Weißrussen und Großrussen.

1480–1700: Moskauer Reich. Ivan der III. befreit Russland von der Mongolenherrschaft. Er und sein Nachfolger Ivan der IV. (der Schreckliche) bauen einen starken Zentralstaat auf. Der Zar gleicht mehr einem orientalischen Despoten als einem europäischen Kaiser.

Russland, ursprünglich ein rein osteuropäisches Land, expandiert über die Jahrhunderte hinweg kontinuierlich. Im 16. und 17. Jahrhundert werden riesige aber nur dünn besiedelte Gebiete in Nordasien erworben. 1740 erreichen russische Truppen den Stillen Ozean. Im 18. und 19. Jahrhundert werden in Zentralasien und im Kaukasusgebiet Kolonien erobert, die sofort dem Russische Reich einverleibt werden.

1700–1917: Petersburger Reich. Peter der Große verlegt die Hauptstadt von Moskau in das von ihm gegründete St. Petersburg. Seither verstärkte Anstrengungen sich die technischen, wissenschaftlichen und z. T. auch die kulturellen Errungenschaften Europas anzueignen. Diese Versuche bleiben allerdings bis zum Untergang des zaristischen Russlands 1917 in den Anfängen stecken. Eine wirkliche tiefgreifende Europäisierung Russlands findet nicht statt.

Unter den Nachfolgern Peter des Großen gewinnt Russland eine starke militärische und politische Stellung auf dem europäischen Kontinent, u. a. im Zusammenhang mit den Napoleonischen Kriegen (Befreier Europas) und im Zusammenhang der Niederschlagung von nationalen und sozialen Aufständen (Gendarm Europas). Mit der Niederlage im Krimkrieg gegen die Westmächte (1853/54–56) beginnt der Abstieg Russlands.

1762: Der Adel wird vom Dienstzwang befreit, die Bauern werden Leibeigene.

Seit 1830 Auseinandersetzung zwischen Slawophilen und Westlern.

1855–1881: Alexander der II. Innenpolitische Reformen. U. a. 1861 die »Bauernbefreiung«. Geringe Zuteilung von Land an die Bauern gegen Abzahlung.

1881–1894: Alexander III. Nach der Ermordung seines Vaters durch die Narodniki (Anarchisten) kehrt der neue Zar zur staatlichen Repressionspolitik zurück.

Ab 1890: Beschleunigte Industrialisierung. Vorwiegend mit englischen und französischem Kapital.

1894–1917: Nikolaus II. Der letzte Zar kann den Niedergang Russlands nicht aufhalten. Ungelöste Konflikte zwischen Industrialisierung und halbherziger landwirtschaftlicher Reformen. Versuche der reaktionären Zurückdrängung von demokratischen Errungenschaften z. B. im Zusammenhang mit der Revolution von 1905. Die militärischen Niederlagen und die Verschlechterung der Lebensbedingungen im Verlaufe des 1. Weltkrieges versetzen dem zaristischen Russland den Todesstoß.

Februar/März 1917: Februarrevolution. Der Zar wird gestürzt.


4.2. SOZIAL-ÖKONOMISCHE UND POLITISCHE VERHÄLTNISSE

Die im vorigen Kapitel beschriebene asiatische Produktionsweise hat im zaristischen Russland, trotz wesentlicher Modifikationen, lange Zeit geherrscht. Weder die Reformen westlich orientierter Zaren oder Zarinnen, noch die im 19. Jahrhundert begonnene Industriealisierung hat das Wesen der russischen Gesellschaft entscheidend geändert.

Auf den halbasiatischen Charakter des zaristischen Russlands weisen besonders Bahro [1] und Dutschke [2] hin, die allerdings trotz dieser gemeinsamen Ausgangsbasis bei der Beurteilung der sowjetischen Geschichte zu ganz unterschiedlichen Auffassungen gelangen, wie im 6. Kapitel noch genauer erläutert wird.

Zur Beurteilung des Russlandbildes von Marx ist eine Artikelserie aus den Jahren 1856/57 interessant, die unter dem Titel Revelation of the diplomatic history of the 18th century erschienen ist. Diese Schrift ist im realen Sozialismus bis zum heutigen Tage unterschlagen worden, und der Grund ist wohl der, dass es sich hier um eine völlig andere Interpretation der russischen Geschichte handelt, als die der heutigen sowjetischen Geschichtsschreibung. [3] Diese Schrift ist in der Bundesrepublik unter dem Titel Die Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts erschienen. [4] (In DKP-Kreisen nennt man sie »eine Piratenschrift von Marx«. Ihre Richtigkeit kann zwar nicht bestritten werden, aber nur die Zentralkomitees der KPdSU und der SED haben als Stellvertreter Marxens, Engels' und Lenins auf Erden das Recht, deren Schriften zu veröffentlichen.)

Von einer feudalistischen Gesellschaft kann in Russland bestenfalls in der Zeit der Kiewer Russ und der Teilfürstentümer gesprochen werden, also in der Zeit vom 9. bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Mit der Eroberung durch die mongolischen Tataren verschwand dieses »normannische Russland ganz vom Schauplatz.« [5] Die erobernden Tataren zwangen Russland die asiatische Produktionsweise auf. [6] Durch Metzeleien entvölkerten sie riesige Landstriche und schufen dadurch eine noch größere Isolation der Dorfgemeinden voneinander, als das durch die Weite des Landes ohnehin schon der Fall war. Die russischen Fürstentümer wurden nicht zerstört, sondern tributpflichtig gemacht. Dies entsprach der asiatischen Ausbeutungsweise. Die russischen Fürsten wurden an der Eintreibung der Steuern beteiligt, wurden also faktisch Diener oder Beamter des Mongolenchans.

Die Tataren waren bemüht, die russischen Fürsten in ständiger Zwietracht zu halten und hatten deshalb die Großfürstenwürde wieder hergestellt. Der Kampf um diese Großfürstenwürde war nach Marxens Auffassung ein ehrloser Streit unter Sklaven, der mit Mord und Verleumdung geführt wurde, und indem sich schließlich die moskauer Linie durchsetzte. [7] »Ivan der I. Kalita und Ivan der III. genannt der Große verkörpern das durch die tatarische Herrschaft emporgekommene Moskau ...« [8]

Ivan der III. (1462–1505) ist nach Marx der Begründer der moskowitischen Selbstherrschaft. Entgegen der heutigen sowjetischen Geschichtsschreibung war nach Marx die Befreiung vom Tatarenjoch nicht das Ergebnis eines Befreiungskrieges, sondern Ivan war mehr der Arzt, der das Ende des tatarischen Ungeheuers vorhersagt, als der Krieger, der den Todesstreich führt. [9] Die Tataren waren bei der Thronbesteigung Ivans schon geschwächt, von inneren Fehden zerrissen. Ivan »brach nicht das Joch, sondern befreite sich verstohlender Weise davon.« [10] Mehr durch List und Tücke als durch offenen Kampf. Marx hat nicht die beste Meinung von Ivan den III., bezeichnet ihn als ehrlosen Deserteur, Schwindler, der vor den Abgesandten des Chans im Staube kriecht und gleichzeitig mit Lug und Trug die Tributzahlungen umgeht. Ivan dem I. bescheinigt Marx »die Vereinigung der Charaktere eines Henkers, Speichelleckers und obersten Sklaven des Tataren.« [11]

In der sowjetischen Geschichtsschreibung ist man bemüht, diesen beiden den Anstrich von nationalen Helden zu geben.

Nachdem Ivan der III. das tatarische Joch losgeworden war, wandte er sich mit Hilfe der russischen Fürstentümer gegen die russischen Republiken, dann mit Hilfe der Bojaren gegen die Fürsten und dann mit Hilfe der Gefolgschaften der Bojaren gegen die Bojaren. Zum Schluss ließ er noch einen eigenen Bruder ermorden, der sich nicht unterwarf. So hatte es Ivan der III. am Ende seines Lebens geschafft, sich selbst zum allein herrschenden Despoten aufzuschwingen. Das russische Volk wurde nicht von der Despotie befreit, nur der Despot wechselte.

Eine weitere und abschließende Etappe der Durchsetzung der despotischen Selbstherrschaft war die Zeit Ivan des IV., genannt der Schreckliche. (1530–1584) Unter Ivan dem IV. wurde 1550 ein zentralisiertes Gerichts- und Verwaltungswesen eingeführt, das eine Verstärkung der zentralen Organe brachte und die Steuerprivilegien der weltlichen und geistlichen Fürsten einschränkte. [12] 1556 kam das »Gesetz über die Dienstleistungen aller«, die alle Untertanen, einschließlich der Fürsten und Bojaren, zu Dienstleistungen für den Zaren verpflichteten. In der Duma, in der anfänglich nur der Hochadel vertreten war, wurden auch Dienstadlige und Beamte aufgenommen. In den 60er Jahren kam es zu den großen Bojarensäuberungen, in denen Ivan der IV. alle ihm missliebigen Fürsten und Bojaren ermorden ließ. Der Hochadel wurde ganz entscheidend dezimiert, den Überlebenden wurden die Ländereien abgenommen und Dienstadligen zugewiesen. Große Teile des Landes wurden direkt Zarenland. Der Zar behielt sich die Entscheidungen aller Staatsangelegenheiten vor.

Von dieser Zeit an gab es in Russland eine pyramidenförmig organisierte herrschende Klasse. An der Spitze der Zar als alleiniger Herrscher, unter ihm sein Dienstadel, seine Beamten und Steuereintreiber, die Dorfvorsteher der verstreuten bäuerlichen Gemeinden und die orthodoxe Staatskirche.

Seit dem 17. Jahrhundert regierten die Zaren immer mehr mit Hilfe der Beamtenschaft. So schrieb Engels in seinem Artikel Soziales aus Russland von einem »Heer von Beamten, das Russland überflutet und ausstiehlt und hier einen wirklichen Stand bildet« (!) [12a]


4.3. UNTERSCHIEDE ZU WESTEUROPA

In der sowjetischen Geschichtsschreibung ist man bemüht, die russische Gesellschaft jener Zeit als einen europäischen Feudalismus dazustellen und unterschlägt oder bagatellisiert dabei alle wichtigen Unterschiede zwischen dem zaristischen Russland und dem feudalistischen Westeuropa.

Im Feudalismus kam ein absoluter Monarch erst sehr spät an die Spitze, als die feudale Gesellschaft sich bereits im Verfall befand, das Bürgertum in den Städten erstarkte und die Waffentechnik große Fortschritte gemacht hatte, worauf die absoluten Monarchen sich stützen konnten. [13] In Russland war aber der Großfürst schon seit den Zeiten der mongolischen Herrschaft wesentlich mehr als ein »primus inter pares«, wie es bei den westeuropäischen Kaisern und Königen des Mittelalters der Fall war.

Während im Feudalismus die gängigste Ausbeutungsweise die Fronarbeit der Bauern auf dem Gut der Feudalherren war, wurden die russischen Bauern über Kopfsteuern nach typisch orientalischer Weise ausgebeutet.

Russland war aber keine typische asiatische Produktionsweise. Es hat neben diesen asiatischen Elementen auch feudalistische gegeben. So gab es doch einige bedeutende Städte mit Kaufleuten und Handwerkern. Dies ist der Grund, Russland nicht als asiatisches, sondern halbasiatisches Land zu bezeichnen. Aber im Vergleich zu Westeuropa hat sich in Russland keine Bourgeoisie von Bedeutung entwickelt. In Westeuropa entstanden viele Städte und wurden selbständiger, in Russland zerschlug die zaristische Selbstherrschaft schon seit den Zeiten Ivan des III. die selbständigen Städte. So wurden in Russland die Bedingungen für die Entstehung des Kapitalismus gesellschaftlich ausgerottet. Der Kapitalismus war in Russland von Beginn an etwas importiertes, dass sich nicht organisch aus der russischen Gesellschaft entwickelt hat.

Zur Zeit des Frühkapitalismus hatte der Staat nur die Aufgabe, die Rahmenbedingungen des Kapitalismus zu sichern, z. B. durch Schutzzölle oder militärische Eroberungen neuer Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Dass der Staat sich aber direkt ins Wirtschaftsleben einmischt, entstand erst in der monopolistischen Phase des Kapitalismus.

In Russland hatte der Staat von Beginn an eine wesentlich stärkere ökonomische Funktion als in Westeuropa. Darauf weisen Marx und Engels hin [14] und auch in der sowjetischen Geschichtsschreibung wird dies nicht bestritten. [15] Da sich unter den sozialökonomischen Verhältnissen Russlands nur schwer und nur eine kleine Bourgeoisie bilden konnte, war hier der Staat der Initiator des technischen Fortschritts.


4.4. KULTURELLE UNTERSCHIEDE ZUM LATEINISCHEN EUROPA

Da es seit der Mongolenzeit in Russland kein Bürgertum von Bedeutung mehr gab, entwickelte sich keine bürgerliche Kultur, oder nur in einem verschwindend geringen Maße, die keine gesellschaftliche Relevanz hatte. Frühbürgerliche Demokratie, selbstbewusste Kaufleute und Handwerker, die dem Adel die Selbständigkeit abtrotzten oder abkauften, Bildungsbürgertum u. ä. m . gab es so gut wie nicht.

Durch die Einführung des Christentums griechisch/orthodoxer Richtung wurde Russland von der geistigen Entwicklung des lateinischen Europas abgekoppelt. Die philosophischen Debatten in der Zeit der Scholastik, Reformation, Humanismus und Renaissance, Aufklärung, bürgerliche Forderungen nach einer Verfassung, nach Wahlen, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, all diese Bewegungen im übrigen Europa gingen an Russland nahezu spurlos vorüber.

Die bürgerlich/kapitalistische Phase in der Entwicklung der Menschheit war für Marx und Engels nicht nur ökonomisch eine Vorbedingung für den Sozialismus. Auch die kulturellen Errungenschaften dieser Epoche wurden als Selbstverständlichkeiten vorausgesetzt.


4.5. DIE INDUSTRIEALISIERUNG

Unter dem Zaren Peter dem Großen (1682–1725) wurden verstärkt Anstrengungen unternommen, sich die technischen Errungenschaften Westeuropas anzueignen. Russland wollte nicht zur Halbkolonie werden. Es wollte seine Großmachtstellung behaupten und dafür musste es sich die militärtechnischen Errungenschaften Westeuropas aneignen.

Unter Vermittlung des Staates entstanden Manufakturen und die Eisenproduktion wurde gesteigert. Der Staat beteiligte sich auch direkt am Handel. »Der Zar ist der erste Handelsmann Russlands.« [16] Nach Dutschke dominierte das staatliche Handelskapital im kapitalistischen Verwertungsprozess. Er sieht hier einen originären asiatischen Kapitalismus. [17]

In der Regierungszeit Katharinas der II. (1762–96) wurden weitere Anstrengungen unternommen aus Russland einen Feudalstaat zu machen. 1762 wurden die Bauern nach europäischen Vorbild Leibeigene und die Adligen vom Dienstzwang befreit. Sie mussten aber weiterhin für den Zaren die Steuern eintreiben. Der Adel erlangte nur sehr langsam feudale Qualität, ohne sich jemals völlig aus dem Despotismus herauszuarbeiten. In den Städte nahmen die Adligen noch am ehesten europäische Verhaltensweisen an, aber auf dem Lande blieb im wesentlichen alles beim alten. Es bestanden auch weiterhin (bis 1917) Staatsbauern. Marx sprach bei der Analyse russischer Verhältnisse nie von Feudalismus. [18]

Unter dem Zaren Alexander dem II. (1855–81) wurden 1861 die Bauern aus der Leibeigenschaft entlassen. Aber dies führte nicht zur Durchsetzung des Kapitalismus, sondern zu einer tiefere Orientalisierung. [19] Die Bauernbefreiung hatte zum Ziel eine Stärkung der Autokratie des Zaren durch das Niederreißen der Schranken, die der große Autokrat in den vielen kleinen Autokraten der russischen Gutsbesitzer hatte. Der Staat bezahlte die Gutsbesitzer für die Entlassung der Leibeigenen und die Überlassung eines Teils des Bodens, und die Bauern mussten dann dies Geld an den Staat zurückzahlen und zwar ursprünglich wesentlich mehr (300%!) als der Staat an die Gutsbesitzer gezahlt hatte. [20] Die zaristische Regierung holte das typisch asiatische Steuersystem von den Adligen zurück. Auch durch diese erneute Wandlung änderte sich an der ökonomischen Basis der Despotie nichts wesentlich. Bei der Landverteilung bekammen die freigelassenen Bauern so wenig Land, das es nun zu einem starken Streben der Bauern nach mehr Land kam.

Durch den vom Staat erzeugten kapitalistischen Weg wurden die Zweige des Kapitalismus großgezogen, die ohne die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen, am besten dazu geeignet waren, diese auszubeuten, z. B. die Eisenbahnen. [21] Der russische Bauer war nie voll von seinen Produktionsmitteln getrennt. Eine »ursprüngliche Akkumulation« fand so gut wie gar nicht statt. Dies wurde zu einem Hemmnis der kapitalistischen Entwicklung.

In den wenigen Zentren der Industriealisierung gab es große Betriebe, die durch Vermittlung des Staates zumeist mit ausländischem Kapital (englischem und französischem) errichtet wurden. Russland verfügte über die größten Betriebe der damaligen Zeit. [22] Der Kapitalismus hatte in Russland von Beginn an monopolistischen Charakter. Es gab in diesen Betrieben ein klassenbewusstes und kampfstarkes Proletariat, das aber gemessen an der Gesamtbevölkerung nur wenige Prozente ausmachte. Auf grund der politischen Rückständigkeit bildete sich auch der Reformismus nicht in dem Maße aus wie in Westeuropa. [23]

Bahro kommt bei der Analyse des zaristischen Russlands zu dem Ergebnis, dass in ihm zu Anfang unseres Jahrhunderts drei Formationen übereinander lagen:

»Zuunterst die asiatische – Zarenbürokratie samt orthodoxer Staatskirche und Bauernschaft.
Darüber die seit der Aufhebung der Leibeigenschaft erst halbliquidierte feudale, die sich aber in der Vergangenheit nie völlig aus der älteren ersten herausgearbeitet hatte – Ex-Gutsherren und Ex-Leibeigene im Kampf um den Boden.
Schließlich zu oberst, in wenigen Städten konzentriert, die moderne kapitalistische – industrielle Bourgeoisie und Lohnarbeiter.« [24]

Und Bahro schreibt weiter, dass die sozial-ökonomischen Verhältnisse zu Beginn des Weltkrieges zu Tode unterhöhlt und europäisch übertüncht waren. Aber was musste bleiben, wenn in einer Revolution die zahlenmäßig schwache Bourgeoisie und Intelligenz zu 90% umkommt und das kleine Proletariat zu großen Teilen im Bürgerkrieg fällt und der Rest sozial destruiert wird, als Klasse aufhört zu existieren? Was bleiben musste war die bäuerliche Basis der Zarendespotie samt kleinbürgerlicher Anlagerung in den nichtindustriellen Provinzstädten. Dazu genaueres im 6. Kapitel.


5. LENIN

Lenin ist der theoretische und praktische Begründer des sowjetischen Systems. Daran ändert auch nichts, dass sich dieses System nach seinem Tode anders entwickelte, als er es erwartet hatte. Lenin ist die geschichtsträchtigste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Ohne Lenin hätte es keine bolschewistische Partei gegeben, keine Oktoberrevolution und keine Sowjetunion. Ohne Lenin wäre die Geschichte des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich zu großen Teilen anders verlaufen. Neben den despotischen Traditionen des zaristischen Russlands ist der Leninismus die zweite entscheidende Ursache für die Entstehung des Stalinismus. Daran ändert auch nichts, dass Lenin das, was sich unter Stalin entwickelte, so bestimmt nicht gewollt hat.

Lenin hatte die sozial-ökonomischen Verhältnisse des zaristischen Russlands nicht voll durchschaut. Er hielt das zaristische Gesellschaftssystem irrtümlich für einen westeuropäischen Feudalismus. Er sah zwar viele einzelne Besonderheiten, aber nicht die entscheidende Besonderheit.

Lenin hatte nach Bahro keinen allgemeinen theoretischen Begriff von der asiatischen Produktionsweise. [1] Wenn er den Begriff »asiatisch« benutzt, ist dies bei ihm eine politische, keine ökonomische Kategorie. So schreibt er: »Russland ist in sehr vielen und sehr wesentlichen Beziehungen zweifellos ein asiatischer Staat, und dabei ein ganz besonders barbarischer, mittelalterlicher, schändlich rückständiger asiatischer Staat.« [2] Aber schon in seiner Schrift Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland [3] behauptet Lenin, der Aufstieg des kapitalistischen Privateigentums habe sich durchgesetzt. [4]

Ein wichtiger Bestandteil des Leninismus ist die Parteitheorie. Bei Marx und Engels ist nirgendwo die Rede von einer führenden Partei beim Sturz des Kapitalismus und beim Aufbau des Sozialismus. Lenin schuf unter den spezifisch russischen Verhältnissen den Parteitypus des demokratischen Zentralismus. (Nach der Oktoberrevolution übertrug er diesen Parteitypus dann auf die ganze Welt.) Unter den zaristischen Verhältnissen war eine legale Klassenorganisation des Proletariats nicht möglich. [5] Lenin forderte für die Partei unter diesen Umständen »strengste Konspiration, strengste Auslese der Mitglieder, Herausbildung der Berufsrevolutionäre.« [6] Dies sollte aber nicht dazu führen, dass nun die Berufsrevolutionäre für alle denken, sondern durch eine solche Organisation sollte es ermöglicht werden, immer größere Gruppen am politischen Kampf zu beteiligen.

Lenins Auffassung war, dass die Arbeiterklasse aus sich heraus nur tradeunionistisches Bewusstsein entwickeln kann. [7] Die sozialistischen Ideen müssen von der Partei in die Massen hineingetragen werden. [8] Die Partei muss die aktiven und bewussten Proletarier in sich aufnehmen und dort für den revolutionären Kampf schulen. »Durch die Erziehung der Arbeiterpartei erzieht der Marxismus die Avantgarde des Proletariats, die fähig ist, die Macht zu ergreifen und das ganze Volk zum Sozialismus zu führen, die neue Ordnung zu leiten und zu organisieren, Lehrer, Leiter, Führer aller Werktätigen und Ausgebeuteten zu sein bei der Gestaltung ihres gesellschaftlichen Lebens ohne die Bourgeoisie und gegen die Bourgeoisie.« [9] Die Partei sollte das ganze Volk von der zaristischen Selbstherrschaft befreien. »Gebt uns eine Organisation von Revolutionären und wir werden Russland aus den Angeln heben.« [10]

Dutschke folgert aus dieser Parteitheorie, dass nach Lenin zwar abstrakt-theoretisch die Arbeiterklasse sich selbst befreien sollte, konkret-historisch sollte dies jedoch die Partei in die Hände nehmen. [11] Und Dutschke kritisiert, dass das Verhältnis Partei – Klasse ein borniert-ideologisches gewesen sei, und dass eine Dialektik von Partei und Massentätigkeit als Kontrolle der Klasse über die Partei von Anfang an nicht gegeben war. [12]

Bahro beurteilt das Verhältnis Partei – Klasse ähnlich [13], aber während Dutschke diese Parteitheorie verwirft, ist sie für Bahro die einzig mögliche. Auf die Unterschiede zwischen Bahro und Dutschke werde ich im 6. Kapitel genauer eingehen.

Auf grund der russischen Verhältnisse musste sich bei Lenin eine andere Einstellung zur Rolle des Staates in der Übergangsperiode ergeben als bei Marx. [14] Die Diktatur des Proletariats sollte nach Marx nur den politisch-militärischen Widerstand der gestürzten Bourgeoisie brechen. Und nach Engels ist die Diktatur des Proletariats schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr. [15]

Lenin verabsolutierte die Auffassung, dass der bürgerliche Staatsapparat zerschlagen werden muss [16], Marx und Engels hatten dies von der konkreten Situation in dem jeweiligen Land abhängig gemacht [17], und Lenin forderte dann den Aufbau eines neuen proletarischen Staatsapparates. Die Werktätigen brauchen den Staat, aber der Staat muss so beschaffen sein, dass er sofort abzusterben beginnt und zwangsläufig absterben muss. [18] Lenin betont aber nicht, dass der proletarische Staat nach Marx und Engels schon kein eigentlicher Staat mehr ist und verwischt so nach Dutschke den wichtigen Unterschied zwischen einem Staat und der Diktatur des Proletariats. [19]

Bahro vertritt den Standpunkt, dass schon in der Schrift Staat und Revolution die realsozialistische Gesellschaft wie sie heute existiert, in ihren wesentlichen Grundzügen konzipiert ist. [20] Es wird davon gesprochen, dass eine neue Staatsmaschine geschaffen werden muss, mit deren Hilfe die Revolution regiert und kommandiert. [21] »Bis die höhere Phase des Kommunismus eingetreten sein wird, fordern die Sozialisten die strengste Kontrolle seitens der Gesellschaft und seitens des Staates über das Maß der Arbeit und das Maß der Konsumtion.« [22] Solange das Leistungsprinzip noch gilt, wird nach Lenin »nicht nur das bürgerliche Recht [23] eine gewisse Zeit fortbestehen, sondern sogar auch der bürgerliche Staat – ohne Bourgeoisie.« [24] Und Lenin spricht von »der Umwandlung aller Bürger in Arbeiter und Angestellte eines großen Syndikats, nämlich des ganzen Staates.« [25] Bahro stellt fest, dass dies die Fundamente sind, auf denen die realsozialistische Gesellschaft bis heute beruht. [26]

Nach Lenin sollte dieser neue Staatsapparat aber »eine nach dem Typ der Kommune gebildete Organisation der bewaffneten Arbeiter sein.« [27] Gegen Verbürokratisierung des neuen Staates sollten sofort die bewährten Maßnahmen der Pariser Kommune angewandt werden: »1. nicht nur Wählbarkeit, sondern jederzeitige Absetzbarkeit; 2. eine den Arbeiterlohn nicht übersteigende Bezahlung; 3. sofortiger Übergang dazu, dass alle die Funktionen der Kontrolle und Aufsicht verrichten, dass alle eine Zeitlang zu ›Bürokraten‹ werden, so dass daher niemand zum Bürokraten werden kann.« [28]

Die Kontrolle von unten ist auf grund der Rückständigkeit Russlands und der Kulturlosigkeit der Massen nie richtig in Gang gekommen. Und auch wenn man die Rückständigkeit ausklammert, mussten die leninschen Vorstellungen des Partei- und Staatsapparats beim Aufbau des Sozialismus zu einer Herrschaftsstruktur führen, in der wirkliche Kontrolle von unten gar nicht mehr möglich ist.

Lenin war in einer Weise Voluntarist, gab dem Willen von einzelnen Menschen einen Stellenwert, wie Marx und Engels das nicht getan haben. Erstes Beispiel dafür ist, dass er in einem rückständigen Land eine sozialistische Revolution machen wollte. Zweites Beispiel, dass er die NÖP einführte, die die kapitalistische Produktionsweise wieder einführen sollte, er aber gleichzeitig einen sozialistischen Überbau erhalten wollte. Wenn Lenin ein Marxist war, dann war er jedenfalls ein sehr eigenwilliger Marxist.

Lenin war ein Dogmatiker, ein Absolutist reinsten Wassers. Er war überzeugt die Wahrheit zu besitzen. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Offener Meinungsstreit und Pluralismus auf ideologischen Gebiet war für Lenin unvorstellbar. Über die Vertreter anderer Auffassungen innerhalb der Arbeiterbewegung schrieb er: »Leute, die tatsächlich davon überzeugt sind, dass sie die Wissenschaft vorangebracht haben, würden nicht Freiheit für die neuen Auffassungen neben den alten fordern, sondern eine Ersetzung der alten durch die neuen.« [29] Für Lenin gab es nur Wissen oder Nichtwissen, Wahrheit oder Lüge. Ein »Vielleicht«, ein »Eventuell« gab es für ihn nicht. Politisch Andersdenkende waren bestenfalls Dummköpfe, wenn sie nicht gleich Lumpen, Kapitalistenknechte etc. waren. Schon zwanzig Jahre vor der Oktoberrevolution redete und schrieb Lenin über politische Gegner nur in dieser verächtlichen Weise. Nach der Machtergreifung der Bolschewiki wurden politisch Andersdenkende zu Kriminellen erklärt. Im Bürgerkrieg wurden sie massenweise liquidiert. 1921 forderte Lenin im Zusammenhang mit Diskussionen über das Strafgesetzbuch der RSFSR auf sozialdemokratische Aktivitäten und Propaganda die Todesstrafe zu verhängen, ersatzweise die Ausweisung ins Ausland. [30]

Lenin war ein linker Machiavelli. In seinen Methoden war er nicht zimperlich. Nach ihm gibt es nur ein einziges Kriterium richtiges und falsches Handeln voneinander zu unterscheiden: Nützt es dem Aufbau des Kommunismus oder schadet es dem Aufbau des Kommunismus? »Für uns ist die Sittlichkeit den Interessen des proletarischen Klassenkampfes untergeordnet.« [31] »Sittlich ist, was der Zerstörung der alten Ausbeutergesellschaft ... dient.« [32] Diesem Ziel wird alles untergeordnet. Eine ewige Sittlichkeit gibt es nicht.

Wenn es außerhalb des Klassenkampfes kein Kriterium für gut oder böse gibt, dann ist Lüge, Intrige, Verleumdung, Mord und Massenmord eben gerechtfertigt, wenn es dem Aufbau der besseren Welt dient. Der Zweck heiligt die Mittel. Lenin war überzeugt, dass die schlimmen Dinge, die die Bolschewiken im Bürgerkrieg tun mussten (?), durch die leuchtende Zukunft gerechtfertigt sind.

Wenn man über längere Zeit nach dem Motto verfährt »der Zweck heiligt die Mittel«, dann kommt es fast zwangsläufig zu einer Umkehrung von Zweck und Mittel. Die Mittel werden zum Selbstzweck und der einstige Zweck wird zum Mittel der Rechtfertigung. Genauso ist es unter Stalin und seinen Nachfolgern gekommen.

Es gibt auch die Auffassung, dass sich in den Mitteln das Ziel, das man anstrebt, widerspiegeln muss. Das sah Lenin anders.


6. DIE OKTOBERREVOLUTION UND IHRE FOLGEN

6.1. ZEITTAFEL

1898: Gründung der geheimen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands.

1902: Entstehung der Bolschewistischen Partei.

1905: Erfolglose Revolution

1914: Beginn des 1. Weltkrieges.

1917 Feb./März – Februarrevolution. Sturz des Zaren.

7. Nov. 1917 (Nach dem alten russischen Kalender 25. Okt.) Staatsstreichartige Machtergreifung der Bolschewistischen Partei unter der Führung Lenins. (Oktoberrevolution)

1918–21 Bürgerkrieg zwischen den »Roten« und den »Weißen« (Bolschewiki und antibolschewistische Kräfte unterschiedlicher Ausrichtung), den die Bolschewiki für sich entscheiden. Im Verlauf des Krieges kommen durch Kampfhandlungen, Massaker und Hungersnöte Menschen in zweistelliger Millionenhöhe ums Leben.

1921: Neue ökonomische Politik – Verbot der Fraktionsbildung innerhalb der KP – Endgültige Unterdrückung anderer politischer Gruppierungen.

1922: Stalin wird Generalsekretär der KP, ursprünglich ein rein administrativer Posten. 30. Dez.: Gründung der Sowjetunion.

1924: Tod Lenins

1924–29: Aus innerparteilichen Flügelkämpfen geht Stalin als Sieger hervor. Er setzt gegen den Widerstand Trotzkis die These vom Aufbau des Sozialismus in einem Lande durch.

1928–29: Ende der NÖP. Beginn der staatlich betriebenen Industrialisierung – Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Diese führt zu Ernterückgängen, die Hungersnöte mit vielen Millionen Toten zur Folge haben.

1936–39: Zeit der »Großen Säuberungen«. In drei großen Schauprozessen werden ca. 90% der alten Garde der Bolschewiki abgeurteilt und hingerichtet. Viele Millionen weniger bekannter Kommunisten werden umgebracht oder nach Sibirien deportiert. Bis 1953, dem Todesjahr Stalins, werden ca. 18 Millionen Menschen Opfer des stalinschen Terrors. Ca. ein Drittel wird sofort umgebracht, ein weiteres Drittel geht an den harten Arbeits- und Lebensbedingungen im GULAG zugrunde. (Opferzahlen nach Solschenizyn, Der Archipel Gulag. Aktuellere Zahlen mögen von diesen abweichen. In einer ZDF-Reihe über Stalin und die Sowjetunion aus dem Jahre 2003 wurden 40 Millionen Opfer des stalinschen Terrors genannt. Was nicht heißt, dass alle diese Opfer umkamen.)

1939: Hitler-Stalin-Pakt über die Aufteilung Osteuropas in deutsche und sowjetische Interessensgebiete.

1939–41: In den ersten beiden Jahren des 2. Weltkrieges erobert Stalin in Ost- und Südosteuropa Staaten und Gebiete, die er nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht wieder herausgibt.

1941: Überfall der Sowjetunion durch das faschistische Deutschland. Nach anfänglichen schweren Niederlagen und riesigen Gebietsverlusten kann Stalin das Blatt zu seinen Gunsten wenden. Die an Dummheit und Brutalität nicht zu übertreffende Kriegführung Hitlers, seine unrealistischen Kriegsziele, militärische Unterstützung durch die Westmächte, nicht zuletzt aber die Weite der russischen Lande und das riesige Potential an Menschen und Material ermöglicht Stalin den Sieg. Die Sowjetunion verliert im 2. Weltkrieg ca. 27 Millionen Menschen. Dabei ist die Höhe der Opfer in einem beträchtlichen Maße das Ergebnis der an Verrat grenzenden Unfähigkeit und Menschenverachtung Stalins.

Nach Ende des 2. Weltkrieges hatte die Sowjetunion ihre Einflusssphäre weit nach Europa hinein ausgedehnt. In den von sowjetischen Truppen besetzten Ländern wurde zwangsweise das sowjetische System eingeführt. Es entstand der »Kalte Krieg« zwischen dem westlichem Block unter Führung der USA und dem östlichem Block unter Führung der Sowjetunion. 1949 explodierte die erste sowjetische Atombombe. Die Sowjetunion wurde neben den USA zweite Weltmacht.


6.2. DIE OKTOBERREVOLUTION

Die Oktoberrevolution unterschied sich von Beginn an von früheren Revolutionen. In Paris 1871 oder in Russland im Februar 1917 hatten sich die Massen spontan erhoben. Die Lebensverhältnisse hatten sich drastisch verschlechtert und nun genügte ein Tropfen um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Aus der Flut der Ereignisse gingen in Paris die Organe der Kommune hervor und in Russland die Sowjets. In diesen Organen und an ihren Spitzen standen Angehörige verschiedener politischer Gruppen und politischer Ideologien.

Der Oktoberaufstand war keine spontane Erhebung der Massen. Er war von einer Zentrale von Berufsrevolutionären geplant und durchgeführt. Er war faktisch die putschistische Machtergreifung einer Partei. Nur gestützt auf eine straffe Organisation konnte er überhaupt gelingen und nur gestützt auf diese Organisation konnte die sich bildende Regierung überleben. Der Vorteil der Bolschewiki war, dass sie im Herbst 1917 als einzige über eine solche Organisation verfügten. Die Macht lag auf der Straße und die Bolschewiki haben konsequent zugegriffen. Und die Macht hatte von Beginn an nicht das Volk, nicht die Arbeiterklasse, sondern die bolschewistische Partei. [1]

Die Bolschewiki konnten sich allerdings auf eine weitverbreitete Stimmung unter den Massen stützen. Sie sind mit dem Willen großer Teil des Volkes an die Macht gekommen. Anders ist es nicht erklärlich, dass sie den Bürgerkrieg gewannen.

Die alte zaristische Regierung und die bürgerlichen, menschewistischen und sozialrevolutionären Politiker hatten in den Monaten vor dem Aufstand, auf grund ihrer Unfähigkeit die drängenden Probleme zu lösen, ständig an Anhängern verloren. Die Bolschewiki gewannen die Mehrheit in den wichtigsten Sowjets des Landes. Die Wahl zur Duma zeigte aber, dass die Bolschewiki eine Wahl nach bürgerlich-parlamentarischen Bedingungen selbst in den Monaten um die Oktoberrevolution herum nicht gewinnen konnten.
 

6.3. DER BÜRGERKRIEG

Um gegen die Interventen und die weißen Armeen siegen zu können, musste die Sowjetregierung eine eigene Armee aufbauen. Schon wenige Tage nach dem Oktoberaufstand wurde ein Angriff der Kerenski-Truppen mit Hilfe ehemaliger zaristischer Offiziere zurückgeschlagen. Dutschke meint, die rote Armee sei aus dem Staatsvertrauen Lenins entstanden. [2] Dies sehe ich nicht so. Ohne eine zentralisierte Armee, nur gestützt auf Partisanen und Milizen hätte Sowjetrussland nicht überleben können. Dutschke ist hier zu sehr vom chinesischen und vietnamesischen Beispiel beeinflusst. Die Situation in Russland war eine andere. [3]

Der Bürgerkrieg wurde auf beiden Seiten mit großer Brutalität geführt. Roter und weißen Terror ergänzten sich. Es ging für beide Seiten um Sein oder nie wieder Sein. Die Bolschewiki hatten das Beispiel der 30.000 ermordeten Kommunarden des Paris 1871 vor Augen. Sie wussten, dass die herrschenden Klassen vor keinem Verbrechen zurückschrecken, wenn es darum geht, ihre Privilegien zu verteidigen. Aber auch die Bolschewiki waren nicht zimperlich in ihren Methoden. Über die »Der Zweck heiligt die Mittel Politik« Lenins habe ich mich bereits im 5. Kapitel ausgelassen.

In der Zeit des Bürgerkrieges entstanden die Institutionen, die die Zeit überdauern sollten und später zu den entscheidenden Stützen der stalinistischen Despotie werden sollten. [4] Neben der roten Armee wurde die Geheimpolizei »Tscheka« gegründet. Nach Elleinstein bekam sie mit der Zeit eine Machtfülle, die schließlich sogar die bolschewistischen Führer beunruhigte. [5]

Das Prinzip des demokratischen Zentralismus hatte den Leitungen große Macht in die Hände gegeben. Nicht nur die Partei, auch die staatlichen Institutionen einschließlich Armee und Geheimpolizei wurden nach diesem Prinzip aufgebaut.
 

6.4. DIE ERHOFFTE WELTREVOLUTION BLEIBT AUS

Die Bolschewiki verstanden zu Beginn die Oktoberrevolution als ersten Schritt, als Signal für die Weltrevolution. In den Tagen des Aufstandes und auch noch lange Jahre danach, wäre keiner der bolschewistischen Führer auf die Idee gekommen, dass Russland für Jahrzehnte allein bleiben würde mit seiner Revolution oder gar, dass der Sozialismus in einem, dazu auch noch sehr rückständigen, Land aufgebaut werden könnte. »Selbstverständlich kann den endgültigen Sieg nur das Proletariat der fortgeschrittenen Länder der Welt erringen, und wir Russen beginnen das Werk, das vom englischen, französischen und deutschen Proletariat gefestigt werden wird.« [6] Und einige Zeit später sagte Lenin: »Solange es in anderen Ländern keine Revolution gibt, werden wir Jahrzehnte brauchen, um uns herauszuwinden.« [7]
 

6.5. RUSSLAND AM ENDE DES BÜRGERKRIEGES

Russland war, wie im 4. Kapitel erläutert, ein rückständiges Land mit wenig Industrie, wenig Bourgeoisie und Proletariat, wenig Intelligenz und einer großen Masse von rückständigen Bauern.

Am Ende des Bürgerkrieges war auch das wenige zu großen Teilen verschwunden. Die Industrie war nahezu völlig zerstört [8], der Produktionsschwund in der Landwirtschaft führte 1920/21 zu einer Hungersnot mit sieben Millionen Toten. [9] Im Lande irrten schätzungsweise zehn Millionen Bettler und verwahrloste Kinder umher. [10] Das Bürgertum und der Adel waren durch die Sozialisierung ihres Besitzes fast vollständig verschwunden, im Bürgerkrieg umgekommen oder ins Ausland geflohen. [11] Die Intelligenz, Lehrer, Ingenieure, Ärzte u. ä. war zu 90% umgekommen oder ins Ausland ausgewichen. [12]

Sowjetrussland war um 1922 ein Reich von Bauern. Die Masse dieser Bauern bestand aus Analphabeten, die abergläubisch der orthodoxen Kirche ergeben waren. Es fehlte an jeder demokratischen Tradition. Die Bauern kannten nur die Despotie des Zaren. Demokratische Rechte, repräsentative Körperschaften, Wahl der Regierung, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit u. ä. hatte es nie gegeben.

Auch das Proletariat war verschwunden. [13] Lenin sprach davon, dass durch den Krieg und durch die Zerrüttungen das Proletariat »deklassiert, das heißt aus seinen Klassengeleisen geworfen ist und aufgehört hat, als Proletariat zu existieren.« [14] Ein großer Teil des klassenbewussten Proletariats war im Bürgerkrieg gefallen und die Überlebenden in den Staatsapparat abgezogen worden. Was übrig blieb, waren nach Lenin deklassierte Elemente.

Als sich Anfang der 20er Jahre die Arbeiter, also diese deklassierten Elemente, die übrig geblieben waren, von der bolschewistischen Partei abwandten [15], standen die Bolschewiki vor einem unerwarteten Problem. Bisher war man stillschweigend davon ausgegangen, dass das Proletariat den Sozialismus will. Aber kann man den Sozialismus auch gegen den Willen der Arbeiter aufbauen? Hätten zu dieser Zeit freie Wahlen stattgefunden, es wären menschewistische und anarchistische Leute gewählt worden, was gleichbedeutend mit dem Ende der Revolution gewesen wäre. Die Bolschewiki ließen dies nicht zu.

So war für Lenin die Diktatur des Proletariats, zwar nicht de jure aber de facto, Diktatur der Partei. Lenin und die Partei waren überzeugt, die Interessen der Arbeiter besser begriffen zu haben als die Arbeiter selbst. Von Selbstbefreiung der Arbeiter war sowieso nur pro forma die Rede gewesen. Die leninsche Parteitheorie und die konkrete Situation Russlands ergänzten sich und führten schon zu den Lebzeiten Lenins zur Diktatur der bolschewistischen Partei. Lenin sprach davon, wenn der Zar in der Lage war, das Land mit seinen 130.000 Gutsbesitzern zu regieren, warum sollten dann 240.000 Mitglieder der bolschewistischen Partei nicht in der Lage sein, Russland zu regieren, es im Interesse der Armen gegen die Reichen zu regieren. [16]
 

6.6. DIE NEUE ÖKONOMISCHE POLITIK

Auf der Basis kultureller und ökonomischer Rückständigkeit und umgeben von einer überlegenen feindlichen Umwelt war, soweit waren die Bolschewiki der Anfangszeit jedenfalls noch Marxisten, der Aufbau des Sozialismus nicht möglich. Um die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus zu erreichen, wurde die »Neue Ökonomische Politik« (NÖP) eingeführt. Die NÖP hatte nach Lenins Worten die Aufgabe, im großen Maße »die Wiedereinführung der kapitalistischen Produktionsweise zu fördern.« [17] Kleinere Privatbetriebe wurden wieder zugelassen, der Warenverkehr wurde wieder frei, ausländisches Kapital wurde unter bestimmten Bedingungen wieder zugelassen. In der Übergangszeit, bis die materiellen Voraussetzungen des Sozialismus geschaffen waren, sollte unter Leitung des sozialistischen Staates ein Mischsystem zwischen Staatsbetrieben und Privatbetrieben bestehen. Der Staat sollte aber die wichtigsten Wirtschaftsbereiche kontrollieren. [18]

Durch die NÖP kam es bald zu einem ökonomischen Aufschwung. Die NÖP brachte aber auch Gefahren mit sich. So mancher neue und alte Kapitalist erhoffte über sie ein friedliches Zurück zum Kapitalismus. (Wie man bei einer kapitalistischen ökonomischen Basis einen sozialistischen Überbau erhalten will, dass ist das Geheimnis des Voluntaristen Lenin.)
 

6.7. POLITISCHE VERÄNDERUNGEN

Um die Errungenschaften der Oktoberrevolution zu sichern, kam es zu Veränderungen auf politischem Gebiet und innerhalb der bolschewistischen Partei. Die menschewistische und die sozialrevolutionäre Partei, die bisher eine Art Halblegalität besaßen, wurden endgültig unterdrückt. Die Unzufriedenheit unter den Arbeitern und Bauern, wie wenig sich für sie im täglichen Leben geändert hat, hätte sich in einer Stärkung dieser Parteien ausgedrückt und auch die neu entstehende Schicht der NÖP-Leute hätte versucht, durch diese Parteien ihre Interessen zu vertreten.

Das Verbot aller anderen Parteien zog das Fraktionsverbot innerhalb der bolschewistischen Partei automatisch nach sich. Verschiedene Flügel in der bolschewistischen Partei wären faktisch verschiedene Parteien gewesen.

In der Partei organisierten sich jetzt Menschen, die sich unter anderen Umständen anderswo organisiert hätten. Um zu verhindern, dass die Partei von innen her von ihrer kommunistischen Ideologie abgebracht werden könnte, wurde neben dem Fraktionsverbot noch eingeführt, dass bestimmte Positionen in der Partei nur von Mitgliedern besetzt werden konnten, die schon vor 1917 in der Partei waren und dies waren 1924 nur noch 1% der Mitglieder. [19]

Es wurde auch schon zu den Lebzeiten Lenins üblich, Funktionäre der Partei, des Staates und der Wirtschaft von oben einzusetzen. Es entstand genau die hierarchische Struktur, die Marx für unvereinbar mit der Kommune bezeichnet hatte. [20]

Ebenfalls noch zu den Lebzeiten Lenins kam es zu den ersten großen Säuberungen, die allerdings noch nicht in Form von Erschießungen und Deportationen vorsichgingen. 1921 wurden ein Drittel der Mitglieder, 200.000 Leute, aus der Partei ausgeschlossen.

Diese noch zu Lenins Zeiten eingeführten Mechanismen, die die Kommunistische Partei schützen sollten, wurden später von Stalin dazu benutzt, die Kommunistische Partei zu zerstören. Was hier entstanden war, war ein von der Bevölkerung, der Arbeiterklasse und auch von der Masse der Parteimitglieder unkontrollierbarer Herrschaftsapparat. Wenn dieser Apparat mit aufrechten Kommunisten besetzt blieb, konnte das vielleicht gutgehen, um die Durststrecke zu überwinden, bis die materiellen Verhältnisse oder die internationale Revolution eine Lockerung wieder zuließen. Aber was musste bleiben, wenn man die alte Garde der Bolschewiki, die bekannten und weniger bekannten Kommunisten der ersten Zeit, zu Hundertausenden ermordete? Was bleiben musste, war das Gerippe einer Despotie. Nach der Liquidierung der alten Garde wurde der Apparat besetzt mit den stupidesten, politisch und moralisch ungebildesten Bürokraten. [21]
 

6.8. DER KAMPF UM EINE BESSERE ARBEITSMORAL

Von Beginn an hatten die Bolschewiki Probleme mit der Arbeitsmoral. Sie mussten mit Hilfe der Gewerkschaften Disziplinargerichte schaffen, die gegen Bummelantentum und Produktionsdiebstähle vorgingen. Die Stachanowbewegung allein war nicht in der Lage, die Arbeitsmoral der Massen zu heben. Die Methoden die Menschen zu besserer Arbeit zu zwingen, nahmen mit der Zeit drastisch zu. Lohnabzug, Verbot den Arbeitsplatz oder Wohnort zu wechseln, bis zu Arbeitslager bei mehrfach verspäteten Erscheinen bei der Arbeit. Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre war die Bewegungsfreiheit der Arbeiter und Bauern mehr eingeschränkt als zu den Zeiten des Zarismus.

Hier ist ein Gedanke von Bahro sehr interessant. [22] Er fragt, warum war für Marx ein anderer als der kapitalistische Weg zur Industriegesellschaft nicht möglich?

Der Kapitalist jage nicht nach Mehrprodukt, sondern nach Mehrwert. Während die früheren Ausbeuter sich von dem erbeuteten Mehrprodukt ein schönes Leben gemacht hätten, sei der Kapitalist, kraft der dem Kapitalismus innewohnenden ökonomischen Gesetzen, gezwungen, seinen Mehrwert sofort wieder zu investieren, die Produktionsmittel so gut wie möglich zu nutzen, seine Arbeiter so lange wie möglich arbeiten zu lassen, um im Konkurrenzkampf zu bestehen. Der Arbeiter, den die ursprüngliche Akkumulation ohne Produktionsmittel dastehen lässt, sei gezwungen, beim Kapitalisten zu arbeiten, und zwar so, »dass er soviel Mehrwert schafft, wie der jeweils durchgesetzte Normalarbeitstag bei gegebener Produktivität ermöglicht.« [23]

Der Kapitalismus schaffe also einerseits eine ungeheuerliche Dynamik der Produktivkraftentwicklung und, da der Mensch von Natur aus nicht fleißig sei, sondern nur soviel tue, wie er zur Erhaltung seines gewohnten Lebens bräuchte, schüfe auf der anderen Seiten erst der Kapitalismus, durch seinen Zwang zur grenzenlosen Mehrarbeit, den Produzententyp, der eine Industriegesellschaft und damit einen Kommunismus des Reichtums überhaupt erst möglich mache.

Wenn ein Land die kapitalistische Phase nicht durchlaufen hat, müssten die Menschen durch außerökonomischen Zwang dazu gebracht werden, fleißige, disziplinierte Arbeiter zu werden. Hierzu sei eine Despotie unumgänglich notwendig.

Bahro betont an anderer Stelle, dass der Prozess der Industriealisierung nicht unter allen Umständen antagonistischen Charakter haben müsse. »Aber wenn ihr Tempo eine Frage des Überlebens in der überlegenen imperialistischen Umwelt ist ... gibt es wohl kaum auch nur die Chance, dem zu entgehen.« [24] Nach Bahro war die stalinistische Despotie unumgänglich nötig zur Erziehung des neuen Produzententyps. (Das Sowjetsystem hat in den siebzig Jahren seiner Existenz diesen Produzententyp nicht hervorgebracht!)
 

6.9. DIE ZWANGSKOLLEKTIVIERUNG DER LANDWIRTSCHAFT

Um die Industriealisierung voranzutreiben, benötigten die Bolschewiki das landwirtschaftliche Mehrprodukt. Zuerst versuchten sie durch Erhöhung der Preise für Industriegüter das landwirtschaftliche Mehrprodukt abzuschöpfen. Als die Kulaken aus Protest dazu übergingen, das Getreide für die Versorgung der Städte zurückzuhalten, trieb die Partei die Kollektivierung der Landwirtschaft voran.

Die Kollektivierung der Landwirtschaft war ursprünglich geplant als ein sehr langwieriger Prozess, in dem die Bauern durch Überzeugungsarbeit für den freiwilligen Zusammenschluss gewonnen werden sollten. Doch nun überwiegten die repressiven Methoden bei weitem die Überzeugungsarbeit. Nicht nur die Kulaken, sondern auch die mittleren Bauern widersetzten sich der Kollektivierung.« Der mit Agrarfragen beauftragte Parteiverantwortliche Bauman musste gestehen, »dass der Seredniak (mittlere Bauer) sich auf die Seite der Kulaken und gegen uns gestellt hatte.« [25] Der nun einsetzende Terror gegen die Bauernschaft sollte bald auf die Partei selbst umschlagen. [26]

Mit dem Einsetzen der Zwangskollektivierung war die Zeit der NÖP beendet. Bahro kommt zu der Auffassung, dass ohne die Kollektivierung Russland heute ein Bauernland wäre, höchstwahrscheinlich auf kapitalistischem Weg. [27] Inzwischen weiß man, dass auch ein ausreichendes Angebot an Landmaschinen die Bauern nicht automatisch zur Hinnahme der Kollektivierung bewegt. [28]
 

6.10. DIE ROLLE DER PERSÖNLICHKEIT IN DER GESCHICHTE

Welchen Einfluss haben einzelne Personen auf den Ablauf der Geschichte genommen? Wäre es ohne Lenin zur bolschewistischen Partei oder zur Oktoberrevolution gekommen? Bei der Lektüre von Isaak Deutscher erkennt man, dass nur durch Lenin, nur durch seine Überzeugungskraft, die Trennung von den Menschewiki vollzogen wurde, [29] und dies war die Voraussetzung für die Schaffung der Partei, die später zur entscheidenden Kraft der Umgestaltung werden sollte. Nur durch Lenins Überzeugungskraft konnte im Herbst 1917 die Mehrheit der bolschewistischen Partei für den Aufstand gewonnen werden. [30] Den Aufstand propagieren, Menschenmassen dafür begeistern und letztlich den Aufstand organisieren, das konnte Trotzki auch, aber Lenin schuf die Partei, die den Aufstand erst zu einem Erfolg werden ließ.

Die gesellschaftliche Entwicklung wird in groben Zügen von den ökonomischen Zwänge bestimmt. Die konkrete Ausgestaltung kann aber von hervorragenden Persönlichkeiten stark variiert werden. Eine hervorragende Persönlichkeit kann Geschichte machen, wenn ihr Streben und ihre Handlungen in Übereinstimmung mit den ökonomischen Erfordernissen steht. Ohne diese Persönlichkeit würden sich die ökonomischen Zwänge wahrscheinlich zu einer anderen Zeit, auf eine andere Art durchsetzen. [Das hätte ich schon ein paar Jahre später so nicht mehr geschrieben!]

So würde ich sagen, dass Russland auf grund seiner halbasiatischen Struktur den nichtkapitalistischen Entwicklungsweg einschlagen musste. Auch die im 3. Kapitel angesprochene Übergangsgesellschaft, in der die Macht faktisch von den Bürokraten und Technokraten ausgeht, musste Russland durchlaufen. Die konkrete Form aber, die Oktoberrevolution, die daraus resultierende internationale Isolierung, die Parteiherrschaft usw,. dass alles ist von der Person Lenin und seiner Theorie stark, vielleicht sogar entscheidend beeinflusst.

Stalins Bedeutung für die Entwicklung in den 20er und 30er Jahren würde ich nicht so hoch einschätzen. Für einige Auswüchse können wohl die negativen Charaktereigenschaften Stalins verantwortlich gemacht werden, aber die allgemeine Entwicklung, die seinen Namen trägt, wäre auch ohne ihn so abgelaufen. Wenn sich in den entscheidenden Jahren 1923/24 Trotzki gegen Stalin durchgesetzt hätte, und die Möglichkeit war vorhanden [31], dann hätte sich auch nichts prinzipiell anderes entwickelt. Trotzki hatte sowieso durch seine Vorschläge zur Militarisierung der Arbeit und zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in den frühen 20er Jahren das spätere System schon vorweggenommen. [32] Trotzki wollte bloß nicht die unvermeidlichen negativen Begleiterscheinungen der »ursprünglichen sozialistischen Akkumulation«. Dies war auch letztlich der Grund dafür, dass sich Trotzki, der nach Lenins Worten der fähigste Mann des Zentralkomitees war [33], nicht gegen den mittelmäßigen Stalin durchsetzen konnte.

Die Bolschewiki hatten objektiv eine andere Aufgabe zu erfüllen, als die, zu der sie sich berufen glaubten. Ihre Aufgabe war nicht der Sozialismus, sondern die schnelle Industriealisierung Russlands auf einem nichtkapitalistischen Weg. Bis zu einem bestimmten Punkt, bis zur Zerschlagung der alten Ordnung, also bis zum Ende des Bürgerkriegs, stimmten die Intentionen der Bolschewiki mit ihrer objektiven Aufgabe überein.

Als diese Intentionen mit den objektiven Aufgaben in Konflikt gerieten, war genau der Moment, als Lenin sich aus Gesundheitsgründen aus dem politischen Leben zurückziehen musste. Ein länger lebender Lenin hätte, wenn er sich der neuen Situation angepasst hätte, vielleicht die übelsten Exzesse der Stalinzeit vermeiden können, was ja auch schon eine Menge gewesen wäre. Vielleicht hätte er aber auch nur die ganze Entwicklung aufgehalten. Mao hat meiner Ansicht nach in China durch seine Volkskommunen und Kulturrevolution den Prozess der Industriealisierung aufgehalten, der nun nach seinem Tode und der Entmachtung der »Viererbande« verstärkt einsetzen wird. In ihrem grundsätzlichen Verlauf hätte auch Lenin die Entwicklung nicht ändern können.
 

6.11. DER AUFSTIEG STALINS

Nach Lenins Tod fehlte die Autorität, die bisher immer die widerstreitenden Parteiflügel geeint hatte. Stalin, der seit 1922 Generalsekretär der Partei war – ursprünglich eine administrative, keine politische Funktion –, hatte durch geschicktes Einsetzen seiner Leute in wichtige Funktionen, eine Macht gewonnen, die selbst Lenin in seinem Testament als beunruhigend bezeichnet hatte. [34] Aus allen innerparteilichen Kämpfen ging er als der wirkliche Sieger hervor. Mit jeder ausgeschalteten Person oder Gruppe stieg seine Macht. Nach Bahro waren die innerparteilichen Kämpfe nur die Geburtswehen der Despotie. [35]

Trotzki, Sinowjew, Bucharin und viele andere Bolschewiken hatten in sich einen anderen Staat vorweggenommen, als den, der das Resultat ihres Wirkens war. Sie hatten nicht erfasst, an was sie beteiligt waren. Sie hatten für die proletarische Revolution gelebt und erkannten nicht, dass auf grund der Rückständigkeit und der internationalen Lage der Aufbau des Sozialismus gar nicht möglich war.

Stalin setzte sich durch, nicht etwa weil er der geschickteste oder intelligenteste war, sondern weil er zu dem neuen Staat passte, der im entstehen war. Stalin besaß alle Eigenschaften eines Despoten. Er war ein skrupelloser Intrigant, der bereit war über Leichen zu gehen um seine Vorstellungen durchzusetzen. Trotzki berichtet, dass es Stalin verstand, mit den einfachen Menschen, mit den Bauern und den gerade in die untersten Funktionen des Apparates aufgestiegenen Bürokraten zu reden. »Er spricht ihre Sprache und weiß sie zu führen ... die Dialektik der Geschichte hat sich seiner schon bemächtigt.« [36]
 

6.12. DAS DILEMMA DER BOLSCHEWIKI

Die Bolschewiki hatten geglaubt, dass ihre Revolution das Signal für die Weltrevolution sein würde. Dass sie allein bleiben würden mit ihrem rückständigen Land, dass war nicht einkalkuliert worden.

Die leninsche Parteitheorie sollte nicht zur Herrschaft der Partei über die Arbeiter führen. Dass es aber darauf hinauslief, lag am Fehlen eines großen Proletariats und daran, dass die unterdrückten Massen nicht von heute auf morgen zu aktiven, schöpferischen Persönlichkeiten werden.

Dass die Arbeiter sich nach der Revolution vom Sozialismus abwenden würden, soetwas hatte man nie in Betracht gezogen. Als es dann geschah, mussten sich die Bolschewiki, wenn sie nicht die ganze Revolution gefährden wollten, über den, scheinbar nur kurzfristigen, Willen der Arbeiter hinwegsetzen.

Als aus Gründen der Rückständigkeit die NÖP eingeführt wurde und dadurch eine neue Schicht von Kapitalisten entstand, die ein schönes Leben führen konnten, während die Arbeiter häufig noch hungerten, da war dies nicht die ursprüngliche Intention gewesen.

Die Bolschewiki hatten geglaubt, durch die Sozialisierung der Produktionsmittel eine nie dagewesene Dynamik der Produktivkraftentwicklung auszulösen, dass die Masse nun für sich selbst, für ihren Staat, viel besser arbeiten würden als für die Kapitalisten und Gutsbesitzer. Dass man schließlich mit Arbeitslager die Masse zu besserer Arbeit zwingen musste, weil der Kapitalismus eben noch nicht genügend vorgearbeitet hatte bei der Entstehung des neuen Produzententyps, das haben die Bolschewiki nicht erwartet.

Mit ihrem zentralisierten Partei-, Staats- und Wirtschaftsaufbau gaben sie den Funktionären große Macht in die Hände. Die Bürokraten beherrschten den Wirtschaftsprozess und schon bald eigneten sie sich einen Teil des Mehrprodukts für persönliche Privilegien an. Dies war nicht der ursprüngliche Wille der Bolschewiki, aber das Resultat ihres Wirkens, das Ergebnis der materiellen Zustände.

Kurz: Die Bolschewiki mussten auf grund der Verhältnisse laufend Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht tun wollten und die ihren ganzen Vorstellungen widersprachen.

Das was Engels im Deutschen Bauernkrieg über die Situation von Thomas Münzer im Jahre 1525 schreibt, passt auf die Situation der Bolschewiki in den 20er und 30er Jahren wie angegossen.

»Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions- und Verkehrsverhältnisse ... Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist, mit einem Wort, gezwungen, nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist. Er muss im Interesse der Bewegung selbst die Interessen einer ihm fremden Klasse durchführen und seine eigene Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit der Beteuerung abfertigen, dass die Interessen jener fremden Klasse ihre eigenen Interessen sind. Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren.« [37]

Quod erat demonstrandum. Die Mehrheit der alten Garde landete vor den Erschießungskommandos der GPU. Ein kleinerer Teil, diejenigen, die charakterlich dazu in der Lage waren, wurden die Spitzen der neuen herrschenden und ausbeutenden Klasse der Bürokraten.

Nach den großen Säuberungen Ende der 30er Jahre hatte die Kommunistische Partei aufgehört zu existieren. Was übrig blieb, nannte sich zwar weiterhin Kommunistische Partei, sie hatte rein abstrakt weiterhin die alten Ziele, aber mit den kommunistischen Idealen hatten sie im täglichen Leben ungefähr soviel zu tun, wie die Inquisition des Mittelalters mit der Bergpredigt von Jesus Christus.


6.13. IM VERGLEICH – DIE ERKLÄRUNGEN VON TROTZKI, DUTSCHKE, ELLEINSTEIN UND BAHRO

6.13.1. TROTZKI

Trotzki sieht den Grund für den Sieg der Fraktion Stalin in der Rückständigkeit Russlands, in der internationalen Lage und den daraus entspringenden wirtschaftlichen Gegebenheiten Sowjetrusslands. [38]

Jede Revolution ziehe nach sich eine Reaktion oder gar Konterrevolution, die viele Errungenschaften des Volkes rückgängig mache und sich gegen die Pioniere der Revolution wende. [39]

Viele hervorragende Vertreter der Arbeiterklasse seien im Bürgerkrieg umgekommen oder um einige Grade über die Masse erhoben und von ihnen losgelöst. [40]

Die Enttäuschung der Massen darüber, wie wenig sich im täglichen Leben geändert habe, führte zur Resignation. Auf einer Flut von Kleinmut schwang sich eine neue kommandierende Schicht empor. [41]

Ein weiterer Grund wäre die Niederlage der Weltarbeiterklasse und diese wäre letztendlich bedingt durch »die verheerende Rolle der von der Masse losgelösten und tief konservativen Kremelführung.« [42]

Die durch die Verhältnisse entstandene Bürokratie versuche nun, sich von der Massenkontrolle zu befreien. [43] (Als ob es jemals Massenkontrolle gegeben habe!) Sie entwickele ihre eigenen Ideen, Gefühle und Interessen. Ein längeres Leben Lenins hätte diese Tendenz vielleicht aufgehalten, ganz verhindern hätte auch Lenin sie nicht. [44]

Im demokratischen Zentralismus an sich sieht Trotzki nicht das Problem. [45] Doch er kritisiert, dass die unter dem Zwang der Ereignisse eingeführten Mechanismen wie Fraktionsverbot, Verbot anderer Parteien, zu allgemeinen Normen gemacht wurden. [46]

(Im demokratischen Zentralismus sehe ich auch kein Problem, da sowohl die Demokratie wie eine zentrale Führung nötig ist. Das Problem war, dass es nie einen demokratischen Zentralismus gab, sondern nur einen Zentralismus, und zwar von Beginn an, von der Entstehung der bolschewistischen Partei im Jahre 1902 an.)

Die Partei wurde von unbewussten Massen überschwemmt, die ohne Erfahrung und Selbständigkeit, aber gewohnt waren, sich der Obrigkeit zu unterwerfen. [47]

Die Übergangsordnung stecke noch voller sozialer Gegensätze. Grundlage der Bürokratie sei die Armut der Gesellschaft an Konsumgütern. [48] So sieht auch Ernest Mandel als führender Trotzkist die Ursache für die wachsende Entfremdung zwischen Partei und Arbeiterklasse im oktroyierten Konsumverzicht. [49]
 

6.13.2 DUTSCHKE

Dutschke sucht in den Fehlern von Personen und Organisationen den Grund dafür, dass sich der Stalinismus entwickeln konnte, und dass das Proletariat bis heute immer noch nicht die von Marx erwartete Revolution gemacht hat.

Lenin habe die wirkliche sozial-ökonomische Struktur Russlands nicht erkannt und daraus musste sich zwangsläufig eine falsche Taktik ergeben. Die Fixierung auf die bürgerliche Revolution habe Lenin den Blick für die Bauernmassen verstellt und ein Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft verhindert. [50]

Das Verhältnis von Partei und Klasse sei ein borniert-ideologisches gewesen. [51] Lenin hätte sich mehr auf die Massenaktivitäten stützen sollen als auf einen bürokratischen Apparat. Der Kampf gegen den Bürokratismus wäre nur dann erfolgreich gewesen, »wenn die enthüllende und mitwirkende Sprengkraft der Massentätigkeit« benutzt worden wäre. [52] Lenin hätte nicht davon ausgehen sollen, dass das sozialistische Bewusstsein von außen in die Massen hineingetragen werden muss, er hätte sich auf das Bewusstsein stützen sollen, das aus der materiellen Lage der Arbeiterklasse heraus entsteht. [53]

»Die russische Revolution hätte so zu einer Revolution des asiatischen Stadt- und Landproletariats im Kampf gegen den asiatischen Staatskapitalismus werden müssen. Das alles wäre aber nur möglich gewesen, wenn die asiatische Entwicklung des Kapitalismus in Russland nicht als Qual, sondern als reale gesellschaftliche Formationsbestimmung Russlands anerkannt und revolutionär benutzt worden wäre.« [54]

Wenn die Bolschewiki und Lenin also nur besser erkannt und besser gehandelt hätten, »hätte die Sowjetunion wahrscheinlich einen anderen Weg genommen, und Europa, vielleicht die ganze Welt, sähe heute anders aus.« [55] Für mein Gefühl ein sehr idealistischer Standpunkt. Dutschke ist zu sehr vom chinesischen Modell beeinflusst und dies ist, wie ich oben schon feststellte, inzwischen ebenfalls gescheitert.
 

6.13.3. ELLEINSTEIN

Elleinstein führt einerseits die historischen Faktoren an, Unterentwicklung sowie Mangel an demokratischen und kulturellen Traditionen, und entwickelt dann in seiner Schrift Geschichte des Stalinismus wie sich aus diesen Gründen schrittweise der Stalinismus entwickelt hat.

Neuerdings misst er auch der leninschen Theorie große Bedeutung bei. [56] Die Bolschewiki seien Anhänger einer absoluten Vorstellung von Diktatur gewesen, einer Diktatur ohne Grenzen und Gesetze, die ausschließlich im Dienste revolutionärer Macht stehen sollte. Diese Theorie machte sie schließlich blind gegenüber den Nebenfolgen unumschränkter Machtausübung. Stalinismus sei essentiell Staatsmacht ohne Gegenmacht im Sozialismus.

Alle drei Autoren, wie auch Wilhelm Reich, auf den ich im nächsten Kapitel zu sprechen komme, befinden sich in den von Bahro als »Ideal und Wirklichkeit« bezeichneten Kategorien. [57] Wenn die bolschewistischen Parteimenschen nur besser erkannt und besser gehandelt hätten, dann wäre alles anders geworden. Trotzki berücksichtigt noch am meisten die wirtschaftlichen Verhältnisse, ist aber zum letztendlichen Grund auch nicht vorgestoßen.
 

6.13.4. BAHRO

Bahro ist viel konsequenter Materialist. Seine Analyse ist viel tiefgehender. Gegenüber der Arbeit von Bahro erscheint mir die Arbeit von Dutschke unheimlich flach.

Die Niederlage der Weltarbeiterklasse ist nach Bahro nicht in den Fehlern von Personen und Organisationen begründet, sondern darin, dass sich um die Jahrhundertwende das revolutionäre Sturmzentrum aus den hochindustriealisierten Ländern weg, in die dritte Welt verlagert habe. [58]

Die Oktoberrevolution sei die erste antiimperialistische Revolution gewesen, in der ein unterentwickeltes Volk sich die Voraussetzungen geschaffen habe, unabhängig einen nichtkapitalistischen Weg zur Industriegesellschaft zu gehen. [59]

Die Oktoberrevolution hätte ebenso wenig zum Sozialismus führen können, wie die französische Revolution zu einem Zustand allgemeiner Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. [60] Sie habe nur zu der Gesellschaftsstruktur führen können, wie sie heute existiert. [61] Die Bolschewiki hätten eine andere Aufgabe zu erfüllen gehabt, als die, zu der sie sich berufen glaubten. [62] Ihre Aufgabe sei die schnelle Industrialisierung Russlands auf einem nichtkapitalistischen Weg gewesen. [63]

Da das Kapital noch nicht genügend vorgearbeitet habe, musste Russland die »ursprüngliche sozialistische Akkumulation« durchlaufen. Die Zwangsmaßnahmen zur Stärkung der Arbeitsmoral seien ebenso notwendig gewesen [64], wie die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. [65]

»Zum materiellen Aufbau bedarf es vor allem anfangs einer starken und - um die Niederringung des überlieferten Stumpfsinns überhaupt zu ermöglichen – oft in vieler Beziehung despotischen Staatsmacht.« [66]

Die Rückständigkeit hätte von den Bolschewiken institutionellen Tribut fordern müssen, und so sei es dazu gekommen, dass die zaristische Bürokratie durch eine nur »ganz leicht mit Sowjetöl gesalbte Bürokratie« (Lenin) ersetzt wurde. [67]

Überall, wo gestützt auf Arbeiter und Bauern eine neue Gesellschaft aufgebaut wird, habe sich gezeigt, dass man ohne einen Staatsapparat nicht auskäme. [68]

Die Rückständigkeit sei aber nur für die Auswüchse der Bürokratie verantwortlich zu machen. [69] Erst auf einer hohen industriellen Stufe wäre der Zwang zum Staatsapparat erst voll hervorgetreten. [70]

Die Ursachen der Bürokratie und des Staatsapparates lägen letztlich in dem Zwang zur Arbeitsteilung in der Übergangsgesellschaft zwischen entwickelter Klassengesellschaft und Kommunismus. [71]

Wenn die Klassen, die mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln verbunden sind, verschwunden sein, trete das ältere Element der Klassenspaltung, die Arbeitsteilung, wieder als autonomer Faktor in Erscheinung [72], und erst die endgültige Überwindung der Arbeitsteilung würde den Kommunismus ermöglichen. Dafür wären aber noch viele Maßnahmen erforderlich.


7. PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE

Zum Schluss möchte ich auch noch kurz auf die psychologischen Aspekte der Angelegenheit eingehen. Welche Faktoren bestimmen das menschliche Verhalten? Auf diese Frage will ich eingehen, bevor ich Reichs Sexualökonomie und Bahros Einschätzung der Arbeiterklasse erläutere.


7.1. DIE FAKTOREN MENSCHLICHEN VERHALTENS

Zu den Lebzeiten von Marx und Lenin war die Psychologie noch eine sehr unterentwickelte Wissenschaft, insbesondere kannten sie nicht das umwälzende Werk Sigmund Freuds.

Das Bewusstsein der Menschen ist mehr als das mechanische Abbild ihres gesellschaftlichen Seins. (Womit ich nicht behaupten will, dass Marx oder Lenin eine solche Ansicht vertreten hätten.) Wäre dies so, die proletarische Weltrevolution hätte längs stattgefunden. Es muss erklärt werden, warum sich das Handeln vieler Menschen oft direkt im Gegensatz zu ihren objektiven Interessen befindet. Warum lassen sich Menschen beherrschen, ausbeuten und manipulieren? Warum sind Menschen zu solchen Grausamkeiten wie Folterungen und Massenmorden fähig?

Es geht dabei nicht darum, den Stalinismus aus der Psyche der Menschen heraus zu erklären. Wilhelm Reich hat in seiner Schrift Massenpsychologie des Faschismus nicht versucht, den Faschismus aus der Psyche der Menschen zu erklären. Er hat gefragt, welche Dinge sind in der menschlichen Psyche vorhanden, die die Entstehung des Faschismus, der letztendlich ökonomisch bedingt sei, überhaupt möglich machte.

Analog geht es mir darum zu fragen, was sind die psychischen Ursachen dafür, dass sich der Stalinismus, der letztendlich ökonomisch bedingt ist, entwickeln konnte.

Die Grausamkeiten des stalinistischen Terrors sind aus den grausamen Traditionen des zaristischen Russlands allein nicht erklärbar. Auch die zivilisierten und kulturell fortgeschrittenen Westeuropäer haben sich in zwei Weltkriegen gegenseitig zu Millionen abgeschlachtet. Wo liegen die psychischen Ursachen dafür, dass Menschen zu soetwas fähig sind. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht nur interessant für die Erklärung des Stalinismus, sondern auch dafür, ob der Kommunismus überhaupt möglich und nicht nur eine schöne Illusion ist.

Das menschliche Verhalten wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die sich gegenseitig überlagern, aufheben, ergänzen und ausgleichen können. Der Mensch kommt mit einer bestimmten Triebstruktur zur Welt, wobei der Sexualtrieb und der Aggressionstrieb die wichtigsten sind. Der Hinweis auf die Triebstruktur geschieht nicht, um mit ihr unterschiedliches Verhalten zu erklären, sondern um klarzumachen, dass der Mensch bei seiner Geburt nicht eine totale »tabula rasa« ist, in die alles hineingepresst werden kann.

Vom ersten Tag des Lebens kommen nun die Einflüsse aus der Außenwelt auf das Kind zu. Ob das Kind überwiegend Liebe und Geborgenheit oder Ablehnung und Gleichgültigkeit erfährt, entscheidet schon darüber, ob es sich der Außenwelt zuwendet oder sich abkapselt. Ob Liebe oder Schläge überwiegt, ob blinder Gehorsam verlangt wird oder ob die Eltern sich bemühen Ge- und Verbote zu erklären, entscheidet mit darüber, ob das Kind später einmal ein kritischer aktiver Mensch wird oder ein passiver Befehlsempfänger. Auch die Kleinkinder haben schon sexuelle Bedürfnisse. Ob diese Bedürfnisse befriedigt werden oder aber unterdrückt werden, entscheidet mit darüber, wie selbstsicher bzw. unsicher ein Mensch später sein wird, in welchem Maße er Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle entwickeln wird.

Dies alles führt dazu, dass die Menschen, lange bevor sie in den ökonomischen Prozess eintreten, in den ersten Jahren ihres Lebens, eine bestimmte psychische Struktur herausbilden. Sie verfügt über eine starke Stabilität. Sie kann in späteren Jahren vielleicht noch modifiziert werden, aber in ihren Grundlagen wird man sie das ganze Leben lang behalten. Von konservativer Seite behauptet man natürlich, dass die Verschiedenartigkeit zum größten Teil angeboren, genetisch bedingt sei, um damit die Privilegienstruktur der Gesellschaft zu rechtfertigen. Das, was später als unterschiedliche Intelligenz erscheint, ist vielfach sozialisationsbedingt.

Die Kinder werden dann zur Schule geschickt und je nach der sozialen Stellung ihrer Eltern werden sie die Volksschule oder die Oberschule besuchen. Die Art der Schule ist in der Regel entscheidend dafür, welchen beruflichen Werdegang das Kind später einschlagen wird. Der Jugendliche wird aus der Schule in den Arbeitsprozess eintreten, der arbeitsteilig organisiert ist. Die Arbeitsteilung ist die letztendliche Ursache dafür, dass die Gesellschaft in verschiedene Klassen, Schichten und Interessengruppen gespalten ist. Die Menschen nehmen einen bestimmten Platz im Produktionsprozess ein und werden hieraus unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen entwickeln. Je nach dem Grad ihrer Bildung und der Qualitätshöhe ihres Arbeitsplatzes werden die Menschen die Fähigkeit entwickeln, die Gesellschaft und sich selbst zu durchschauen. Das alles verbirgt sich dahinter, wenn gesagt wird, der Mensch sei sowohl durch seine Natur wie gesellschaftlich determiniert und innerhalb dieser Determination ein psychisch selbständiges erkennendes und interessiertes Wesen. [1]


7.2. REICHS SEXUALÖKONOMIE

Für Wilhelm Reich ist die Unterdrückung der frühkindlichen Sexualität ein sehr wichtiger Faktor bei der Entstehung der Verhaltensweisen. [2]

Das Bewusstsein sei nur ein kleiner Teil des Seelischen und werde von unbewussten Seelenvorgängen dirigiert. [3] Die Sexualenergie sei der zentrale Motor des Seelenlebens, sobald die sexuellen Bedürfnisse in Widerspruch geraten zu den gesellschaftlichen Bedingungen. Im Seelischen treffen natürliche Voraussetzungen und gesellschaftliche Bedingungen aufeinander. Die moralischen Instanzen im Menschen seien ein Produkt der Erziehung und wendeten sich besonders gegen die Sexualität. Es entsteht ein innerer Widerspruch von Trieb und Moral. Die verdrängte Sexualität werde zur Ursache für Komplexe, Neurosen usw.

Reich fragt nun, warum wird die Sexualität von der Gesellschaft unterdrückt? [4] Die augenblicklichen patriarchalischen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse machen die Sexualunterdrückung notwendig.

Die Sexualunterdrückung stehe nicht am Anfang des Kulturprozesses, sondern am Beginn der Klassenspaltung.

Durch die moralische Hemmung der natürlichen Geschlechtlichkeit (und die daraus entstehenden psychischen Störungen) werden die Menschen ängstlich, scheu, autoritätshörig, gehorsam, erziehbar. Sie schafft einen Menschen, der sich widerspruchslos beherrschen und ausbeuten lässt. [5]

Die Unterdrückung grob materieller Bedürfnisse führt zur Rebellion. Die Unterdrückung sexueller Bedürfnisse führt zu deren Verdrängung und verhindert die Rebellion gegen beide Arten der Unterdrückung. [6]

Die Sexualunterdrückung schaffe darüber hinaus eine sekundäre Kraft, die die patriarchalische Gesellschaft stützt. Die unterdrückte Sexualität sucht nach Ersatzbefriedigung. So wird die natürliche Aggressivität gesteigert zu brutalen Sadismus und dieser zur Ursache von Folter, Krieg, KZs u. ä.. Der Militarismus baut auf, auf den exibitionistischen Charakter der Uniform oder auf den erotisch aufreizenden, da rhythmischen Parademärschen. [7]

Reich führt die Entwicklung in der Sowjetunion speziell darauf zurück, dass die sexuelle Revolution gebremst und unterdrückt wurde. [8] Die Rückschritte in den 20er und 30er Jahren sind begründet in den »autoritätssüchtigen Strukturen der Massenmenschen«. [9]

Reich verschiebt wohl leicht die Akzente, wenn er die ganze Entwicklung nur noch durch die Brille der Sexualökonomie sieht oder wenn er behauptet: »Die Fragestellungen der Soziologie haben sich grundsätzlich von der Wirtschaft auf die Struktur der Massenmenschen verschoben.« [10] Aber ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Sexualunterdrückung zweifellos. Sie erklärt auch die bis zum heutigen Tag quasi kirchliche Sexualpolitik im realen Sozialismus.


7.3. BAHROS EINSCHÄTZUNG DER ARBEITERKLASSE

Bahro schätzt die Theorie von Reich zwar hoch ein [11], misst aber der Stellung der Menschen im Produktionsprozess eine größere Bedeutung bei.

Bahro stellt fest, dass das Proletariat bis heute nirgends die ihm vom Marx zugesprochenen Eigenschaften gezeigt hat. [12]

Das russische Beispiel habe gezeigt, dass die alte Gesellschaft nur einer Minderheit der Unterdrückten die psychische Energie für einen aktiven Aufschwung gelassen habe. [13] Sie haben die Kraft zur kollektiven Machteroberung unter bewährten Führern und die Opferbereitschaft im Bürgerkrieg aufgebracht. Aber beim Aufbau einer neuen Gesellschaft eine Leitungsfunktion zu übernehmen, dass verlangt einen Grad an Selbstbewusstsein und Artikulationsvermögen, wie es unter den Ausgebeuteten ein individueller Glücksfall ist. [14]

Beim Staatsaufbau werden die energischen und bewussten Elemente der unterdrückten Klassen nach oben in den Apparat abgezogen und unter den Verbleibenden wird massenhaft Regierungsunfähigkeit und Unmündigkeit reproduziert. [15]

Der Marxismus wurde von Intellektuellen geschaffen und er war in seiner Gesamtheit auch immer nur Intellektuellen begreifbar. [16]

Die revolutionären Programme der Arbeiterparteien waren die Programme von revolutionären Eliten. [17] Die Führer dieser Parteien waren fast ausschließlich Intellektuelle. [18] Nicht die Arbeiterklasse gab sie sich als Führung, sondern sie gaben sich der Arbeiterklasse als Führung. [19]

Das Proletariat kann aus sich heraus nur gewerkschaftliches Bewusstsein entwickeln. [20] »Es ist eines, die Arbeiter zum vollen Bewusstsein ihres ökonomischen Klassengegensatzes zu den Bourgeois zu führen, ein ganz anderes, ihnen ihre »universellen« Interessen bewusst machen zu wollen.« [21]

»Aus dem Kapital geht nur die Rolle des Proletariats als Antagonist der Bourgeoisie ... zwingend hervor ... Dass das Proletariat darüber hinaus das aktuelle Kollektivsubjekt der allgemeinen Emanzipation sein sollte, blieb ein philosophische Hypothese, in der sich die utopische Komponente des Marxismus konzentrierte.« [22]


8. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Bei den Ursachen für die Entstehung des Stalinismus müssen primäre und sekundäre unterschieden werden. Die entscheidenden, primären Ursachen dafür, dass sich nicht ein Gesellschaftssystem herausbilden konnte, wie es Marx und Engels sich vorgestellt hatten, war einmal der Zwang zu einer Übergangsgesellschaft, in der die Macht aus ökonomischen und psychologischen Gründen faktisch von den Funktionären, von der Bürokratie ausgeübt wird. In Russland kam nun noch dazu die Rückständigkeit des Landes, seine halbasiatische Struktur und die internationale Isolierung.

Was dann zusätzlich kam, die Parteitheorie Lenins, das Versagen Trotzkis im Kampf gegen Stalin, das Fraktionsverbot usw. waren die sekundären Ursachen, anhand derer man den konkreten Verlauf der Geschichte aufzeigen kann. Wenn sich auf der Ebene etwas anderes ereignet hätte, dann würde das System heute etwas variiert dastehen. Aber an der grundsätzlichen Beschaffenheit wäre nicht geändert worden.

Das realsozialistische Gesellschaftssystem, das in den 20er und 30er Jahren unter sehr realen Zwängen in der Sowjetunion entstanden ist, ist in diesen Ländern inzwischen zu einem Anachronismus geworden. Für Westeuropa hat es überhaupt keinen Modellcharakter. Wir haben in Westeuropa andere kulturelle und demokratische Traditionen, einen wesentlich höheren Entwicklungsstand der Produktivkräfte und die internationale Lage ist heute eine andere.

Ein westeuropäischer Weg zum Sozialismus muss sich vom sowjetischen grundlegend unterscheiden. Wir brauchen keine Despotie und von daher auch keine Diktatur eines Parteiapparates. Der überzentralisierte Wirtschaftsapparat ist bei unserem Stand der Produktivkräfte völlig unadäquat.

Auf ökonomischen Gebiet brauchen wir einerseits die Verstaatlichung der Großbetriebe, aber eine relative Eigenständigkeit dieser Betriebe und eine Wirtschaftspolitik des Staates, die sich auf Investitionskontrolle und Infrastrukturplanung beschränkt. In den staatlichen und privaten Betrieben muss es eine effektive Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter geben und die Freiheit der Gewerkschaften und das Streikrecht müssen gewahrt bleiben. Die Arbeitsteilung sollte langfristig überwunden werden.

Auf politischen Gebiet brauchen wir verschiedene politische Gruppen, die sich miteinander in Konkurrenz befinden, und die effektive Möglichkeit die Regierung abzuwählen. Die Politiker und Manager, von denen auch bei uns noch lange die tatsächliche Macht ausgehen wird, müssen effektiv kontrollierbar sein. Dafür ist es notwendig, dass die bürgerlichen Rechte und Freiheiten gewährleistet sind. Wir brauchen auch keine alleingültige Staatsideologie, sondern einen offenen Meinungsstreit über alle anstehenden Fragen der Politik, der Wissenschaft, der Philosophie und der Kultur.

Die Erziehung der Kinder und die Sexualpolitik muss den neuesten Erkenntnissen der Psychologie angemessen sein. Das Bildungssystem muss so organisiert sein, dass soziale Nachteile weitgehend ausgeglichen werden. Die Arbeit muss langfristig so organisiert werden, dass nicht die einen ihr Leben lang am Fließband stehen und die anderen in den Chefetagen sitzen. Kurz: Es muss dafür gesorgt werden, dass die große Mehrheit der Bevölkerung auf grund ihrer Erziehung, ihrer Bildung und ihrer Stellung im Produktionsprozess die Fähigkeit und das Bedürfnis entwickelt, den gesellschaftlichen Gesamtprozess zu erkennen und mit zu gestalten.

Marxistische Theorie und realsozialistische Praxis



LITERATURVERZEICHNIS

Autorenkollektiv 1, Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) – Kurzer Lehrgang, Verlag für fremdsprachliche Literatur Moskau 1945
Autorenkollektiv 2, Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt/M 1971
Autorenkollektiv 3, Geschichte der UdSSR – In drei Bänden, Pahl-Rugenstein Verlag Köln 1977
Autorenkollektiv 4, Kleine Enzyklopädie – Weltgeschichte (DDR-Geschichtslexikon), VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1971
Bahro, Rudolf, Die Alternative, Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Europäische Verlagsanstalt Köln 1977
Carrilo, Santiago, Spanien nach Franco, Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung (VSA), Westberlin 1975
Deutscher, Isaak,
1. Trotzki I – Der bewaffnete Prophet 1879–1921
2. Trotzki II – Der unbewaffnete Prophet 1921–1929
3. Trotzki III – Der verstoßene Prophet 1929–1940
4. Stalin – Eine politische Biographie
Alle Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 1962
Dutschke, Rudi, Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen, Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1974
Elleinstein, Jean, Geschichte des »Stalinismus«, Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung (VSA), Westberlin 1977
Engels, Friedrich,
1. Anti-Dühring, MEW 20
2. Brief an Bebel von 18./28. März 1875, MEW 18
3. Brief an Marx vom 6. Juni 1853, MEW 28
4. Der Deutsche Bauernkrieg, MEW 7
5. Einleitung zu K. Marx Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17
6. Grundsätze des Kommunismus, MEW 4
7. Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, MEW 22
8. Soziales aus Russland, MEW 18
9. Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW 21
10. Zur Wohnungsfrage, MEW 18
Alle in Marx/Engels Werken (MEW), Dietz Verlag Berlin 1961ff
(Gemeinsame Schriften von Marx und Engels siehe unter Marx)
Friebel, Harry, Lernkapazität des Individuums – Lernmilieu der Gesellschaft, Westdeutscher Verlag GmbH Opladen 1977
Hofmann, Werner, Stalinismus und Antikommunismus – Zur Soziologie des Ost-West-Konflikts, Suhrkamp Verlag Frankfurt/M 1967
Lenin, W. I.
1. Demokratie und Volkstümlerideologie in China, LW 18
2. Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, LW 3
3. Die neue ökonomische Politik und die Aufgabe der Ausschüsse für politisch kulturelle Aufklärung, LW 33
4. X. Parteitag der KPR(B) – Referat über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer, LW 32
5. Referat auf dem II. Kongress der kommunistischen Organisationen der Völker des Ostens, LW 30
6. Staat und Revolution, LW 25
7. Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur Agrarfrage, LW 31
8. Was tun?, LW 5
9. Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?, LW 26
10. Rede an die Jugendverbände, LW 31
11. Notizen zum Strafgesetzbuch der RSFSR, LW/EB Okt. 1917–März 1923
Alle in Lenin Werke (LW), Dietz Verlag Berlin 1958ff
Marx, Karl,
1. Die britische Herrschaft in Indien, MEW 9
2. Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17
3. Entwürfe einer Antwort auf den Brief von V. I. Sassulitsch, MEW 19
4. Das Kapital 1. Band MEW 23, 2. Band MEW 24, 3. Band MEW 25
5. Konspekt von Bakunins Staatlichkeit und Anarchie, MEW 18
6. Kritik des Gothaer Programmentwurfs, MEW 19
7. Rede nach dem Haager Kongress, MEW 18
8. Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW13
Alle in Marx/Engels Werken (MEW), Dietz Verlag Berlin 1961ff
9. Die Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts, Verlag Olle und Wolter Berlin 1977
10. Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie – Rohentwurf, (»Grundrisse«) Dietz Verlag Berlin 1974
Marx/Engels
1. Die deutsche Ideologie, MEW 3
2. Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4
Beide in Marx/Engels Werken (MEW), Dietz Verlag Berlin 1961ff
Masuch, Michael,
1. Das Problem der Erklärung des Stalinismus, in Argument 106, 19. Jg. (1977), S. 826ff
2. Kongressbericht – Stalinismus und Entstalinisierung, in Argument 117, 21 Jg. (1979), S. 742
Meyer, Gert, Industrialisierung, Arbeiterklasse, Stalinherrschaft in der UdSSR,
(I) in Argument 106, 19 Jg. (1977), S. 844
(II) in Argument 107, 20. Jg. (1978), S. 42
(III) in Argument 108, 20 Jg. (1978), S. 202
Nguyen, Thanh-Hung, Zur Theorie der vorkapitalistischen Produktionsweisen bei K. Marx und F. Engels – Dargestellt anhand der Probleme der »asiatischen Produktionsweise«, Politladen Verlags-GmbH Gaiganz/Oberfranken 1975
Rauch, Georg von, Geschichte der Sowjetunion, 6. erweiterte Auflage, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1977
Reich, Wilhelm,
1. Die Massenpsychologie des Faschismus, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/M 1974
2. Die sexuelle Revolution, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/M 1977
Schuster, Friedemann, Rezension zu Elleinsteins Geschichte des Stalinismus, in Marxistische Blätter, 15. Jg. (1977), H. 3, S. 109ff
Solschenizyn, Alexander, Der Archipel Gulag, 3 Bände, Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek 1976/78
Trotzki, Leo, Verratene Revolution, Buchverlag und -vertrieb Friedrich Kröhnke Dortmund 1976
Wolter, Ulf, Grundlagen des Stalinismus, Rotbuch Verlag Berlin 1975


Marxistische Theorie und realsozialistische Praxis



Anmerkungen zum 1. Kapitel:

[1] Carrillo, S. IV
[2] Autorenkollektiv 4,  S. 597 (Auf 35 Seiten Kleindruck über die Sowjetunion stehen über Stalinismus einige Sätze.)
[3] So Friedemann Schuster in einer Besprechung von Elleinsteins Geschichte des Stalinismus. Schuster, S. 109ff
[4] Zur Zahl der Opfer des stalinistischen Terrors siehe Elleinstein, Kapitel 4, Sieg des stalinschen Phänomens
[5] Engels 1., MEW 20/80


Anmerkungen zum 2. Kapitel:

[1] Bahro, S. 24
[2] Siehe Engels 1., MEW 20/166ff und 262f und Bahro, S. 164f
[3] Siehe hierzu insbesondere Die Deutsche Ideologie, MEW 3/32, Kritik des Gothaer Programmentwurfs, MEW 19/21 und Anti-Dühring, MEW 20/186
[4] Marx 5., MEW 18/633
[5] Engels 8., MEW 18/556
[6] Engels 6., MEW 4/374
[7] Hierzu siehe besonders Marx Die britische Herrschaft in Indien, MEW 9/127 und 220. Und die Einleitung zu den Grundrissen, Marx 10., S. 25, wo Marx schreibt, dass die Russen aus ihrer ökonomischen Festgefahrenheit nur von außen befreit werden können.
[8] Marx/Engels 2., MEW 4/473
[9] ebenda
[10] Engels 7., MEW 22/231
[11] Engels 1., MEW 20/261
[12] Engels 2., MEW 19/6f
[13] Hierzu siehe besonders Engels 9., Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Kapitel IX, MEW 21/152ff
[14] Engels 1., MEW 20/262
[15] Marx 2., MEW 17/342
[16] Aufzeichnung einer Rede von Karl Marx, MEW 17/624
[17] Engels 5., MEW 17/624
[18] Marx 2., MEW 17/340
[19] ebenda S. 338
[20] ebenda S. 339
[21] ebenda S. 340
[22] ebenda S. 543
[23] Engels 10., MEW 18/282
[24] Engels 5., MEW 17/623 und Marx 2., MEW 17/343
[25] Marx 6., MEW 19/19f und Bahro, S. 33
[26] ebenda und Marx 4., Kapital 2. Band, MEW 24/358
[27] Engels 1., MEW 20/187
[28] Marx 6., MEW 19/21


Anmerkungen zum 3. Kapitel:

[1] Engels 9., MEW 21/157
[2] Autorenkollektiv 1, S. 156
[3] Marx 8., MEW 13/9
[4] Engels 1., MEW 20/168
[5] Bahro, S. 80
[6] Nguyen, S. 35
[7] Marx 10., S. 376
[8] Marx 4., MEW 25/799
[9] Marx 4., MEW 23/378
[10] Engels 8., MEW 18/563
[11] Engels 3., MEW 28/259
[12] Bahro, S. 83
[13] Marx 1., MEW 9/130
[14] Marx 4., MEW 25/614
[15] Marx 4., MEW 23/379
[16] Bahro, S. 74
[17] Bahro, S. 96
[18] Bahro, S. 97
[19] Bahro, S. 79f


Anmerkungen zum 4. Kapitel:

[1] Bahro, S. 100ff
[2] Dutschke, S. 41ff
[3] Autorenkollektiv 3, Teil I, besonders 3. und 4. Kapitel
[4] Marx 9.
[5] ebenda, S. 81
[6] ebenda
[7] ebenda, S. 81f
[8] ebenda, S. 82
[9] ebenda, S. 84
[10] ebenda
[11] ebenda, S. 82
[12] Autorenkollektiv 3, 1. Teil, S. 100ff
[12a] Engels 8., MEW 18/559
[13] Dutschke, S. 48
[14] Siehe besonders Marx 3., Entwürfe einer Antwort auf den Brief von V. I. Sassulitsch, MEW 19/984ff und Engels 8., Soziales aus Russland, MEW 18/556ff
[15] Autorenkollektiv 3, 1. Teil, S. 307
[16] Dutschke, S. 50
[17] ebenda, S. 55
[18] ebenda, S. 53
[19] ebenda, S. 57
[20] Wolter, S. 17
[21] Marx 3., MEW 19/393
[22] Wolter, S 26
[23] Deutscher 1., S. 207
[24] Bahro, S. 104


Anmerkungen zum 5. Kapitel:

[1] Bahro, S. 102
[2] Lenin 1., LW 18/153
[3] Lenin 2., LW 3
[4] Dutschke, S. 78
[5] ebenda, S. 100
[6] zitiert nach ebenda, S. 102
[7] ebenda; S. 108
[8] ebenda, S. 107
[9] Lenin 6., LW 25/416f
[10] Lenin 8., LW 5/483
[11] Dutschke, S. 101
[12] ebenda, S. 106
[13] Bahro, S. 128ff
[14] ebenda, S. 109
[15] siehe 2. Kapitel
[16] Lenin 6., LW 25/400
[17] siehe besonders Marx 7., MEW 18/160 und Engels 7., MEW 22/234
[18] Lenin 6., LW 25/415
[19] Dutschke, S. 155
[20] Bahro, S. 112
[21] Lenin 6., LW 25/502
[22] Lenin 6., LW 25/484
[23] Marx 6., MEW 19/20
[24] Lenin 6., LW 25/485
[25] Lenin 6., LW 25/484
[26] Bahro, S. 114
[27] Lenin 6., LW 25/499
[28] Lenin 6., LW 25/496
[29] Lenin 9., LW 5/379
[30] Lenin 11., LW/EB Okt. 1917–März 1923, S. 441
[31] Lenin 10., LW 31/281
[32] Lenin 10., LW 31/283


Anmerkungen zum 6. Kapitel:

[1] Deutscher 1., S. 241ff
[2] Dutschke, S. 157
[3] Deutscher 1., S. 448
[4] Elleinstein, S. 23
[5] ebenda, S. 24
[6] Lenin 5., LW 30/144
[7] Lenin 4., LW 32/227
[8] ebenda, S. 10
[9] ebenda
[10] ebenda
[11] ebenda, S. 13
[12] ebenda
[13] ebenda, S. 12
[14] Lenin 3., LW 33/46
[15] Deutscher 1., S. 472f und S. 539
[16] Lenin 9., LW 26/95
[17] Lenin 3., LW 33/46
[18] Elleinstein, S. 35
[19] Deutscher 2., S. 153
[20] Bahro, S. 130
[21] ebenda, S. 132
[22] ebenda, S. 30ff
[23] ebenda, S. 31
[24] ebenda, S. 147
[25] Elleinstein, S. 72
[26] ebenda, S. 63
[27] Bahro, S. 120
[28] ebenda
[29] Deutscher 1., S. 66ff
[30] ebenda, S. 241
[31] Deutscher 2., S. 83ff
[32] Deutscher 1., S. 467ff
[33] Deutscher 2., S. 79
[34] ebenda
[35] Bahro, S. 136
[36] Rauch, S. 194
[37] Engels 4., MEW 7/400f
[38] Trotzki 1., Kapitel V Sowjetthermidor
[39] ebenda, S. 89
[40] ebenda, S. 90
[41] ebenda
[42] ebenda, S. 91
[43] ebenda, S. 93
[44] ebenda, S. 94
[45] ebenda, S. 95
[46] ebenda, S. 95ff
[47] ebenda, S. 98
[48] ebenda, S. 111
[49] Bahro, S. 123
[50] Dutschke, S. 101
[51] ebenda, S. 106
[52] ebenda, S. 319
[53] ebenda, S. 29
[54] ebenda, S. 115f
[55] ebenda, S. 329
[56] Masuch 2., S. 742ff
[57] Bahro, S. 21
[58] ebenda, S. 57ff
[59] ebenda, S. 58
[60] ebenda, S. 22
[61] ebenda, S. 106
[62] ebenda, S. 23
[63] ebenda, S. 58
[64] ebenda, S. 30ff + 136
[65] ebenda, S. 118ff
[66] ebenda, S. 69
[67] ebenda, S. 106
[68] ebenda, S. 111
[69] ebenda, S. 71
[70] ebenda, S. 116
[71] ebenda, S. 79f
[72] ebenda, S. 91


Anmerkungen zum 7. Kapitel:

[1] Friebel, S. 14ff
[2] Reich 1., Kapitel I.4., S. 44ff
[3] ebenda, S. 45
[4] ebenda, S. 48
[5] ebenda, S. 49
[6] ebenda, S. 50
[7] ebenda, S. 50f
[8] ebenda, S. 198
[9] ebenda, S. 199
[10] ebenda, S. 209
[11] Bahro, S. 346ff
[12] ebenda, S. 224
[13] ebenda, S. 121
[14] ebenda
[15] ebenda
[16] ebenda, S. 232
[17] ebenda, S. 226
[18] ebenda, S. 228f
[19] ebenda, S. 229
[20] ebenda
[21] ebenda, S. 226
[22] ebenda, S. 233

Marxistische Theorie und realsozialistische Praxis


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