Gefühl


Kurzbeschreibung des Begriffs

Gefühl ist ein unklarer Begriff, der für verschiedene körperliche und seelische Erscheinungen benutzt wird: Sinnesempfindungen, Gemütsbewegungen und -verfassungen, Selbstgefühl und weiteres.

Folgende Beschreibungen überlappen sich.

Das Gefühl spielte in der Philosophie meist eine untergeordnete Rolle, da die meisten Philosophen dem Denken den Vorzug vor dem Gefühl gaben. Aber eine Minderheit unter den Philosophen zieht das gefühlsmäßige Erfassen dem denkerischen Erfassen vor. (Eine wichtige Rolle spielt dort häufig die Intuition.) Besonders gilt das für an die Philosophie angrenzende menschliche Aktivitäten wie z. B. Kunst und Religion.

In der philosophischen Tradition unterschied man zwischen Denken, Fühlen und Wollen. Während denkerische und willentliche Akte immer einen Bezug auf etwas außerhalb des Bewusstseins hatten, galten Gefühle als rein subjektive Zustände.

Die Worte Gefühl und Empfindung werden oft synonym verwendet, können aber verschiedenes bedeuten.


Verschiedene Philosophen zur Bedeutung der Gefühle

Für Spinoza ist Gefühl unklare Erkenntnis.

Für die  Gefühlsethiker ist das Gefühl, nicht Verstand oder Vernunft, Grundlage der Ethik.

Für Kant ist Fühlen nur ein subjektives Vermögen, mit dem keine objektive Erkenntnis möglich sei.

Eine große Bedeutung hat das Gefühl bei den Glaubensphilosophen oder auch Gefühlsphilosophen Hamann, Jacobi und Herder. Auch für Schleiermacher ist Religion in erster Linie Gefühl. Im Glaubensgefühl finde man Wirklichkeit.

Ein Gegner einer solchen hohen Bewertung des Gefühls war Hegel, der eine Vernunftphilosophie vertrat.

Die Romantik war eine zum Gefühlvollen, Wunderbaren, Märchenhaften und Phantastischen neigende Weltanschauung, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte und gegen die Aufklärung stand.

Eine große Bedeutung hat das Gefühl in der Phänomenologie. Seit Brentano sprechen einige Philosophen auch dem Gefühl Intentionalität zu. Bei Scheler erfolgt mit dem Gefühl die Erschließung des Bedeutungsvollen, der Werte.

Alle Philosophen, die die Dominanz der Vernunft im Sein verneinen, sind mehr oder weniger Gefühlsphilosophen. Dazu gehören die Lebensphilosophen, unter ihnen Schopenhauer und Nietzsche. (Bei denen aber der Wille eine großere Rolle spielte als das Gefühl.)

Die Religion hat für die meisten religiösen Menschen etwas mit Gefühl zu tun, nicht mit Vernunft. Die Philosophen und Theologen, die eine Vernunftreligion betrieben, waren immer und in allen Religionen in der Minderheit. (Siehe z. B. Deismus.)

Künstler erheben des Öfteren den Anspruch, mit ihren Produkten etwas über das Sein auszusagen, mit ihren Produkten einen tieferen Einblick in das Sein oder Teilen davon zu ermöglichen. Sollte soetwas möglich sein, dann wäre ein solcher Einblick einer des Gefühls, nicht der Vernunft.

Ein für die Philosophie bedeutsames Gefühl ist die Liebe, u. a. weil Philosophie vom Wortursprung her Liebe zur Weisheit ist.


Meine Vorstellungen über die Bedeutung der Gefühle

So wichtig und unverzichtbar für mich die Vernunft ist, so halte ich es doch für verkehrt, den Menschen nur oder primär als Vernunftwesen zu sehen. Der Mensch ist auch ein Gefühlswesen. Jede Philosophie, die dies ignoriert, ignoriert einen wichtigen Teil des Menschen und wird, soweit sie Anleitung sein will für praktisches Verhalten, zumindest partiell scheitern. (Aufklärung, Kant.) Es geht darum, den Menschen in seiner Ambivalenz als Gefühlswesen und als Vernunftwesen zu sehen.

Wie Popper bin ich der Auffassung, das alles, was das Leben lebenswert macht, etwas mit Gefühlen zu tun hat, die Vernunft aber in keinem Lebensbereich völlig fehlen darf.

Ich bin  Gefühlsethiker. Nach meiner Überzeugung geht Ethik aus den Gefühlen der Menschen hervor. Vernunft und Verstand können keine unmittelbaren Aussagen darüber machen, ob etwas gut oder böse ist. Bedeutungslos ist die Entwicklungshöhe der  Vernunft für die Ethik aber nicht.

Auszug aus dem 9. Kapitel Meiner Philosophie: Die Menschen haben primär die Bedürfnisse nach Liebe, Geselligkeit, Produktivität u. ä., und nur wenn sie auf grund von physischen Defekten, ihrer Sozialisation, ihrer Lebensumstände und/oder mangelnder Geschicklichkeit und Einsichtsfähigkeit daran gehindert sind, diese Bedürfnisse zu befriedigen, dann entstehen im Menschen als sekundäre Bedürfnisse Hass, Ungeselligkeit, Destruktivität, Sadismus u. ä. als eine krankhafte Entartung des Menschen.

Gefühle sind weder wahr noch falsch. Sie sind einfach da. Da der Mensch aber nicht nur ein Gefühlswesen, sondern auch ein denkendes und wollendes Wesen ist, ist er seinen Gefühlen häufig nicht ohnmächtig ausgeliefert. Er kann Gefühle bewusst wachsen lassen, andere bewusst unterdrücken, er kann sich Lebensumstände schaffen, die bestimmte Gefühle hervorrufen und andere schwinden lassen.

Wenn aber jemand glaubt, mit oder durch ein Gefühl ein sicheres Wissen über einen von ihm unabhängigen Tatbestand zu haben, dann kann auch das Gefühl täuschen.

Es gibt Menschen, die überzeugt sind, mit dem Gefühl zu verstehen. Sie fühlen so intensiv die Richtigkeit einer bestimmten Auffassung, dass es für sie unvorstellbar ist, dass diese falsch sein könnte. Auf diese Weise sind Milliarden von Menschen von den verschiedensten Religionen überzeugt. Da sie nicht alle gleichzeitig Recht haben können, scheint das Gefühl sie zu täuschen.

Auch im individuellen Leben gibt es solche Täuschungen. Im Zustand der »Großen Liebe« wird häufig der Partner vergöttert. Man fühlt ganz intensiv, dass es dieses mal die oder der Richtige ist und dass es dieses mal wirklich die ganz, ganz große Liebe für das ganze Leben ist. Mit der Zeit merkt man dann, dass der andere Fehler hat oder dass vielleicht sogar seine ganze Liebe nur Heuchelei war. Fast immer folgt auf diesem Gebiet der Euphorie die Ernüchterung.

Denken setzt Sprache voraus. Gefühl nicht. Hier ist einer meiner wichtigsten Einwände gegen die Überbewertung der Sprache. Schmerz, Glück und andere Gefühle haben auch Tiere, Babys und hochgradig geisteskranke Menschen, ohne dass sie Wörter für diese Zustände haben. Ob nun ein Europäer, ein Chinese oder ein Amazonasindianer (oder ein Säugetier) sich das Bein gebrochen hat, sie werden die gleichen Schmerzen haben trotz unterschiedlicher Sprachen. (Und ihre Ärzte werden sie ähnlich versorgen.)

Für Gefühle kann man nicht argumentieren. Wer bestimmte Gefühle nicht hat, den kann man nicht von der Güte dieser Gefühle überzeugen. [1] (Z. B. kann man einen Anhänger Nietzsches nicht von der Güte des Mitleids überzeugen, wenn er ein solches Gefühl nicht kennt. Womit ich nicht behaupten will, alle Menschen, die Nietzsche schätzen, hätten kein Mitleid. Aber  Nietzsche verdammte es.) Man kann bestenfalls versuchen für einen Menschen Lebensumstände zu schaffen, von denen man erwartet oder erhofft, dass dieser Menschen unter diesen Lebensumständen bestimmte Gefühle entwickeln wird. Das hat seine Grenzen allerdings darin, das Menschen im Verlaufe ihrer Sozialisation oft so zerstört wurden, dass bestimmte Gefühle in ihnen nicht mehr entwickelbar sind.


Zitate zu Gefühl

August Boeckh: »Wir müssen das Gefühl durch das Denken begreifen und gleichsam dem blinden Triebe Augen einsetzen durch den Begriff.«

John Churton Collins: »Die Hälfte aller Fehler entsteht dadurch, dass wir denken sollten, wo wir fühlen, und dass wir fühlen sollten, wo wir denken.«

Leonardo da Vinci: »Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.«

Wilhelm Dilthey: »Ein Gefühl, das wir nicht erlebt haben, können wir in einem anderen nicht wiederfinden.«

Fjodor Michailowitsch Dostojewski: »Man kann vieles unbewusst wissen, indem man es nur fühlt, aber nicht weiß.«

Annette von Droste-Hülshoff: »Wo man am meisten fühlt, weiß man am wenigsten zu sagen.«

Marie von Ebner-Eschenbach: »›Wenn mein Herz nicht spricht, dann schweigt auch mein Verstand‹, sagt die Frau. ›Schweige, Herz, damit der Verstand zu Worte kommt‹, sagt der Mann.«

Theodor Fontane: »Was wir Gefühl nennen, ist eine Lebensform, eine bloße Manier, der eine hat die, der andre eine andere.«

Goethe: »Verstand und Vernunft sind ein formelles Vermögen. Das Herz liefert den Gehalt, den Stoff.« »Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen, ...«

Heinrich Heine: »Nur das Gefühl versteht das Gefühl.«

George Herbert: »Wir fühlen nur mit dem, für den wir fühlen.«

Hippokrates: »Das Leben ist eine Komödie für den Denkenden und eine Tragödie für die, welche fühlen.«

Jean Paul: »Das Gefühl findet, der Scharfsinn weiß die Gründe.« »Man kann jemanden bis zum Überdruss widerlegen, ohne ihn zu überzeugen. Das Gefühl überlebt die Einsicht.« Ähnlich wie  Schopenhauer. [Vor dem Hintergrund heutiger  tiefenpsychologischer Erkenntnisse kann man hier von unbewussten psychischen  Erkenntnisschranken sprechen.]

Joseph Joubert: »Suchen wir unser Licht in unsern Gefühlen! In ihnen liegt eine Wärme, die viel Klarheit in sich schließt.«

Friedrich Maximilian von Klinger: »Gefühl und Vernunft sind die Sonne und der Mond am moralischen Firmament. Immer nur in der heißen Sonne würden wir verbrennen, immer nur im kühlen Mond würden wir erstarren.« »Man kann ein klarer Denker ohne Gefühl, aber kein starker, kühner Denker ohne dasselbe sein.«

Jean de La Bruyère: »Das Leben ist eine Tragödie für die, die fühlen und eine Komödie für die, die denken.« [Sagte  Hippokrates ca. 2000 Jahre früher.]

Georg Christoph Lichtenberg: »Wenn man Mitleid fühlt, so fragt man nicht erst andere Leute, ob man es fühlen soll.«

Niccolò Machiavelli: »Jeder sieht, was du scheinst. Nur wenige fühlen, wie du bist.«

Malwida von Meysenbug: »In der Welt, wie sie nun einmal ist, ist es nicht genug, zu fühlen und zu lieben, man muss vor Allem denken und handeln, und jede Kraft, die für die grosse Arbeit des Lebens verloren ist, wird eine Sünde gegen das Gesetz des Fortschritts.«

Novalis: »Das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blassgraues, schwaches Leben

Franziska zu Reventlow: »Alles Fühlende leidet in mir, aber mein Wille ist stets mein Bezwinger und Freudenbringer.«

Sully Prudhomme: »Man ist nur glücklich durch das, was man fühlt, und nicht durch das, was man ist.«

Quintilian: »Gedanken machen groß, Gefühle reich.«

Leopold von Ranke: »Nicht von umsichtigen Erwägungen werden die Völker geleitet. Sie werden von den großen Gefühlen bestimmt.«

Schiller: »Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen, die Schönheit nur für ein fühlendes Herz.« »Der Mensch ist, der lebendig fühlende, der leichte Raub des mächtigen Augenblicks.«

Schleiermacher: »Alles gefühlt zu haben, das ist der Reichtum des Lebens.«

Johann Gottfried Seume: »Ein Glück für die Despoten, dass die eine Hälfte der Menschen nicht denkt und die andere nicht fühlt.«

Kurt Tucholsky: »Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig.«

Voltaire: »Sobald sich Gefühle in festen Begriffen ausdrücken lassen, hat ihre Stunde geschlagen.«

Otto Weiss: »Ist's nicht sonderbar? Die Menschen schämen sich weit öfter, Gefühle zu zeigen, als Gefühle zu heucheln.«

Oscar Wilde: »Die Gefühle von Menschen, die man nicht mehr liebt, haben stets etwas Lächerliches.«


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Anmerkungen

Anm. 1: »An Rheumatismus und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen ist.« Marie Ebner-Eschenbach - Zurück zum Text


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