Immanuel Kant

Immanuel Kant (1724–1804) war ein deutscher Philosoph und einer der vier bedeutendsten, meistdiskutierten Philosophen aller Zeiten. (Neben Platon, Aristoteles und Hegel.) Dem entsprechend hat seine Philosophie eine große Wirkung auf die Philosophiegeschichte nach ihm. Kant war Professor in seiner Heimatstadt Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Er wuchs unter pietistischem Einfluss auf. [Was seine Einstellung zur Pflicht wohl erklären dürfte.] Obwohl er Vorträge über andere Länder hielt, ist er so gut wie nie aus seiner Stadt rausgekommen.

Mit seinem Hauptwerk, der Kritik der reinen Vernunft, wollte Kant eine kopernikanische Wende in der Philosophie herbeiführen. [1] Kant kritisierte den naiven Glauben sowohl des Rationalismus wie des Empirismus an der Objektivität der Erkenntnisse. Seine Transzendentalphilosophie beschäftigt sich nicht mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart der Gegenstände. Vor aller Erfahrung, apriorisch, lägen in unserem Verstand Formen, Kategorien etc. nach denen wir das Objektive erfahren und ordnen würden. Alles objektive sei subjektiv geformt. Hinter der Welt unserer Erfahrung läge eine Welt der Dinge an sich, über die wir nichts wissen könnten. Raum und Zeit würden vom Menschen in die Welt hineingetragen, existierten also unabhängig von uns nicht. Ebenso verhielte es sich mit den Naturgesetzen. In dieser Schrift kommt Kant auch zu der Auffassung, dass Metaphysik als Wissenschaft unmöglich ist, da Gott und Seele außerhalb unserer Erfahrung lägen. [Meine Auffassungen dazu weiter unten.]

In seinem Werk Kritik der praktischen Vernunft stellt Kant den berühmten kategorischen Imperativ auf: »Handle so, dass Dein Handeln Grundlage eines allgemeinen Gesetzes sein kann.« Der Wille sei unmittelbar durch das moralische Gesetz bestimmbar. Nur ein Handeln aus Pflicht, das von äußeren Bestimmungen und inneren Neigungen frei ist, sei sittlich.

Kants Wirken fällt zum größten Teil in die Regierungszeit  Friedrich des Großen (1712–86). Er konnte deshalb ungehindert seine Schriften publizieren. Das änderte sich erst 1793 mit der Veröffentlichung der Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.


Immanuel Kant ausführlicher

  1.  Literatur und Sekundärliteratur
  2.  Die vorkritische Zeit
  3.  Die Kritik der reinen Vernunft
  4.  Die Kritik der praktischen Vernunft
  5.  Die Kritik der Urteilskraft
  6.  Das nachkritische Werk
  7.  Meine Kritik an Kant
  8.  Andere Philosophen zu Kant

Literatur und Sekundärliteratur

Literatur:

Sekundärliteratur:

Die vorkritische Zeit

Als »vorkritische Zeit« wird die Periode in Kants Leben bezeichnet, die der Erarbeitung der Kritik der reinen Vernunft vorausging. Kant war auch schon in dieser Zeit ein produktiver Schriftsteller. Die meisten Schriften sind naturwissenschaftlichen Inhalts.

Die Vernunft oder der Verstand wurden von Kant von Beginn seiner geistigen Tätigkeit an hoch geschätzt. Die Vernunft könne jeder Menschen in sich vorfinden. Sie solle menschlichem Handeln zu Grunde liegen.

Weltentstehung: 1755 entwickelt Kant in seiner Schrift Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels eine Theorie über die Entstehung des Sonnensystems, die umwälzend war. Newton hatte noch angenommen, die Entstehung des Sonnensystems entziehe sich einer natürlichen Erklärung. Kant dagegen stellte die These auf, die Entstehung des Sonnensystems lasse sich mit den beiden Kräften »Anziehung und Abstoßung« ohne Zuhilfenahme übernatürlicher Kräfte erklären. Diese Theorie ist als Kant-Laplacesche Theorie in die Geschichte eingegangen. (Der Franzose Laplace hat Kants Theorie etwas modifiziert und in Experimenten bewiesen.)

Materie gleich Energie: 1756 bezeichnet Kant in seiner Schrift Physische Monadologie die kleinsten Teilchen, aus deren Bewegung die Welt hervorgeht, als »raumerfüllende Kraft«. Das Wesen der Materie sei Kraft. (Heute sagt man dazu Energie.) Damit hat Kant die Materiedefinition Einsteins 150 Jahre vor diesem bereits ausgestellt. [Damit hat er aber nur gesagt, was er wohl bei  Leibniz gelesen hatte.] [2]

Evolutionstheorie: In seiner Schrift Von den verschiedenen Rassen der Menschen nimmt Kant den späteren darwinschen Gedanken vorweg, die verschiedenen Arten seien aus einigen Urwesen entstanden.

Leibniz-Wolffsche Philosophie: Bis ca. 1760 war Kant Vertreter des dogmatischen Rationalismus, nach dem es möglich ist, ohne Hilfe der Erfahrung und ohne kritische Prüfung der Vernunft, Erkenntnisse gewinnen zu können. Aus diesem »dogmatischem Schlummer« wird er nach eigenen Angaben durch Locke, Hume und Rousseau geweckt.

Umschwung: In den Jahren 1762 und 1763 veröffentlicht Kant einige Schriften, die zeigen, dass er dem dogmatischen Rationalismus gegenüber kritisch geworden ist:

Gegen reine Logik: In der Abhandlung Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren wendet sich Kant gegen eine Logik, die glaubt, allein aus Begriffen, Urteilen und Schlüssen Erkenntnis schöpfen zu können. Die Logik erscheint ihm ungeeignet, mehr über die Begriffe auszusagen, als bereits in ihnen steckt. Die Denkgebäude seiner Zeit standen für Kant nun auf tönernden Füßen .

Gegensatz zwischen Denken und Wirklichkeit: In seiner Streitschrift Versuch, den Begriff der negativen Größen in der Weltweisheit einzuführen zeigt Kant am Beispiel der Bewegung, dass etwas logisch unmöglich aber trotzdem wirklich ist. Nach der Logik bewege sich ein Gegenstand entweder, oder er ruhe. Die Logik kenne kein drittes. Ein drittes aber kenne die Wirklichkeit, wenn sich ein Körper im Verhältnis zu einem anderen in Bewegung, im Verhältnis zu einem weiteren aber in Ruhe befände.

Grund und Folge: Der Begriff des Körpers als Grund ziehe die Teilbarkeit als Folge logisch nach sich. Aber dem Begriff des Blitzes, mag man ihn noch so logisch zergliedern, entspringe nie der Donner als Folge. In der Wirklichkeit herrsche das Prinzip von Ursache und Wirkung. Im Unterschied zu Grund und Folge sei aber mit der Ursache nicht die Wirkung logisch gegeben.

Erfahrung als letztes Kriterium: In der Schrift Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theorie und Moral sagt Kant, was logisch richtig behauptet werde, könne nicht verleugnet oder widerlegt werden. Aber wenn man Erkenntnis über die Wirklichkeit erstrebe, dann müsse man die Erfahrung zu Hilfe nehmen, als letztes Kriterium, an dem jede philosophische These gemessen werden müsse. Gedacht werden könne auch der Begriff Gottes, wenn er klar definiert sei. Doch folge daraus noch keineswegs die Wirklichkeit Gottes.

Gottesbeweis: In seiner Schrift Der einzige mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration für das Dasein Gottes von 1763 vertritt Kant noch die Auffassung, dass mit Notwendigkeit ein höchster, nicht zufälliger Weltgrund existieren muss, den er mit Gott identifiziert. Diesen Gottesbeweis hat Kant in der Kritik der reinen Vernunft aufgegeben.

Die Grenzen der Vernunft: 1766 schreibt Kant in seinem Buch Träume eines Geistersehers (gegen Emanuel Swedenborg ), zum erstenmal, dass Metaphysik eine Wissenschaft von den Grenzen menschlicher Vernunft sein müsse. Hier stellt er die Metaphysiker seiner Zeit auf eine Stufe mit mystischen und spiritistischen Phantasten. Schon 1764 hatte Kant in der kleinen Abhandlung Über die Krankheiten des Kopfes die Phantasterei als Geisteskrankheit bezeichnet. (Sehen Sie hierzu auch  Feuerbach.)

Zuerst Erkenntnistheorie: Bevor man Metaphysik betreibe, müsse die Frage beantwortet werden, ob Metaphysik (als Wissenschaft) überhaupt möglich sei. Am Anfang stehe die Erkenntnistheorie. [Exakt meine Position!] Die Struktur und Arbeitsweise des menschlichen Denkapparates müsse untersucht werden. Wie kommen Erkenntnisse zustande, wo sind ihre Quellen, wo ist ihr Geltungsbereich, wo sind ihre Grenzen.

Kants Antrittsdissertation als ordentlicher Professor für Metaphysik und Logik im Jahre 1770 Über die Form und die Prinzipien der sinnlichen und intelligiblen Welt stellen den Übergang da, von der rein negativen Kritik am dogmatischen Rationalismus zur Ausarbeitung seiner eigenen Philosophie.

Die bisherige Metaphysik beginge den methodischen Fehler der Vermengung sinnlicher und intellektueller Erkenntnis. Der Gegenstand der Sinnlichkeit sei das Sinnending (Phänomenon), der Gegenstand des bloßen Verstandes sei das Verstandeswesen (Noumenon).

mundus sensibilis: Ein Objekt oder ein Ding an sich werde gemäß den Anschaungsformen Raum und Zeit wahrgenommen. Diese Empfindung (noch keine Erkenntnis) werde vom logischen Verstandesgebrauch gruppiert, geordnet und damit zu einer Erkenntnis gemacht. Der Verstand habe hier aber noch eine dienende Funktion gegenüber der sinnlichen Erkenntnis, die den mundus sensibilis ausbilde.

mundus intelligibilis: Der reale Verstandesgebrauch dagegen bilde den mundus intelligibilis aus, der ein Produkt des Verstandes sei und nicht von den sinnlichen Wahrnehmungen abstrahiert sei. [!] Die Vorstellungen des realen Verstandesgebrauchs seien von der Natur des Verstandes selbst gegeben.

Die Verwechslung intellektueller mit sinnlichen Prinzipien nennt Kant einen metaphysischen Erschleichungsfehler, er spricht von einem intellektuierten Phänom. Wenn behauptet wird, einem intellektuellen Begriff müsse notwendig etwas sinnhaftes anhängen, dann nennt Kant dies ein erschlichenes Axiom.


Die Kritik der reinen Vernunft

Begriffsklärung:

Die Kritik der reinen Vernunft besteht aus zwei Hauptteilen.

I. Transzendentale Elementarlehre
Der erste Hauptteil besteht aus zwei Unterabschnitten:

  1. Transzendentale Ästhetik behandelt das Vermögen der Sinnlichkeit
    (Die apriorischen Formen der Anschauung: Raum und Zeit.)
  2. Transzendentale Logik behandelt das Vermögen
    des Denkens
    1. Transzendentale Analytik behandelt den Verstand
      (Die apriorischen Formen des Verstandes: Die Kategorien und die ihnen entsprechenden Urteilsformen.)
    2. Transzendentale Dialektik behandelt die Vernunft (Vernunft im engeren Sinne. Die apriorischen regulativen Prinzipien.)

II. Transzendentale Methodenlehre

»Transzendental« darf nicht mit »transzendent« verwechselt werden. Transzendental nennt Kant »alle Erkenntnis, die sich nicht [...] mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, [..] beschäftigt«. Transzendental heißt nicht über alle Erfahrung hinausreichend, sondern aller Erfahrung vorausgehend, sie erst ermöglichend. Transzendental-Philosophie ist ein System aller Prinzipien der reinen Vernunft. (Hier wird über das Denken nachgedacht.)

»Ästhetik« bedeutet hier nicht »Lehre vom Schönen« (wie später in der Kritik der Urteilskraft), sondern im ursprünglichen Sinne des Wortes »Lehre von den sinnlichen Empfindungen«.

»Kritik« bedeutet bei Kant nicht wie im heutigen Sinne »kritisieren«, sondern Durchleuchtung, Überprüfung, Grenzbestimmung.

Doppeldeutiger Titel: Eine Kritik, die von der reinen Vernunft vollzogen wird und eine Kritik, die an der reinen Vernunft vollzogen wird. Die reine Vernunft untersucht sich selbst. (Der antiken Forderung, dass Gleiches nur von Gleichem erkannt werden kann [?], wird hier genügt.) Nach Kant hat die Vernunft die Fähigkeit sich selbst vollständig und unvoreingenommen zu erkennen. [?]

»Dinge an sich« sind nach Kant die Gegenstände (oder welche Worte man auch benutzen mag), die unabhängig vom Menschen und seinem Erkenntnisvorgang existieren. Von ihnen könnten wir nichts wissen. Wir könnten nur wissen, wie uns die Dinge erscheinen.

Am Anfang Erfahrung: Alle Erkenntnis beginne mit der Erfahrung, denn wie sollten wir etwas erkennen, wenn nicht Gegenstände unsere Sinne affizieren. [Meine  Kritik dazu weiter unten.]

Empirismus und Rationalismus hätten beide eine eingeschränkte Gültigkeit. »Erfahrung« ist nach Kant etwas Zusammengesetztes: 1. Von außen kommende Eindrücke. 2. Was unser Verstand hinzutut. Die von außen kommenden Reize würden von uns in einer bestimmten Weise verarbeitet und erst in diesem Prozess entstehe die Welt, so wie sie für uns da sei. [Das ist exakt die heutige naturwissenschaftliche Auffassung über den Erkenntnisvorgang!] Eine kritische Analyse müsse beide Faktoren auseinanderhalten. (Diese Auffassungen findet man im Kern auch schon vor Kant, z. B. bei  Thomas von Aquin und  John Locke.)

a priori und a posteriori: Kant will herausfinden, was wir vor aller Erfahrung »a priori« (von vornherein), an rationalen Erkenntnisinstrumenten besitzen. Empirische Erkenntnis sei »a posteriori« (im nachhinein), nach der Erfahrung.

»Reine Erkenntnis« nennt Kant eine Erkenntnis a priori, wenn ihr gar nichts Empirisches beigemischt ist.

»Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit« seien die zwei Kennzeichen, an denen man reine Erkenntnis von empirischer Erkenntnis unterscheiden könne. Empirische Erkenntnis könne uns nie Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit vermitteln. Nach Hume kann der Satz: »Jede Veränderung hat eine Ursache« nicht aus der Wahrnehmung abgeleitet werden, da wir empirisch nur ein »Nacheinander« aber kein »Durcheinanderbedingt« wahrnehmen könnten. [Wir können nicht einmal ein »Nacheinander« wahrnehmen, sondern nur ein »Miteinander«. Ein »Nacheinander« ist schon etwas Zusammengesetztes aus Wahrnehmung und Erinnerung!] Hume hatte daraus geschlossen: Der Satz sei nicht notwendig und allgemein. Kant dagegen schließt daraus: Der Satz ist notwendig und allgemein, kann aber nicht aus der Erfahrung stammen.

»Analytische und synthetische Urteile«: Ein Urteil ist eine logische Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat. Ein analytisches Urteil sagt im Prädikat etwas aus, das im Subjekt bereits enthalten ist, ist ein »Erläuterungsurteil«.. (Die Kugel ist rund.) Ein synthetisches Urteil sagt im Prädikat etwas aus, das im Subjekt noch nicht enthalten ist, ist ein »Erweiterungsurteil«. (Die Kugel ist golden.)

Dogmatiker und Skeptiker: Für die Dogmatiker besaß das Denken als Erkenntnisfunktion keinerlei Grenzen und somit Allgemeingültigkeit. Für den Skeptiker war das Denken unfähig, überhaupt einen Erkenntnisakt zu vollziehen. Der Dogmatiker hat nur analytische Urteile a priori, der Skeptiker hat nur synthetische Urteile a posteriori. Kant bemüht sich um eine Zwischenposition.

»Synthetische Urteile a priori« Die Hauptfrage der Kritik der reinen Vernunft lautet: »Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« Hieraus leitet Kant drei Unterfragen ab:

  1. Wie ist reine Mathematik möglich?
  2. Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
  3. Wie ist Metaphysik, wenn sie Wissenschaft sein soll, möglich?

»Reine Vernunft« ist diejenige, die die Prinzipien etwas a priori zu erkennen, in sich enthält.


Transzendentale Ästhetik

Die Einzelvorstellung sei nicht bloßer Stoff, sondern bereits geformter Stoff. Das, was diese Form erzeuge, könne nicht aus der Empfindung stammen.

Raum: Die Raumvorstellung sei a priori. Raum sei die Form, nach der uns alle Erscheinungen der äußeren Sinne gegeben würden. Alle konkreten Attribute der mir erscheinenden Gegenstände könne ich wegdenken, aber nicht die Ausgedehntheit im Raum. Den Raum könne ich nicht wegdenken, ohne die gesamte Anschauung zunichte zu machen. [Bis hierhin sehe ich es auch so.] Der Raum hafte aber nicht an den Dingen selbst. Wir seien es, die die Raumvorstellung an die Dinge herantragen würden. [Und das leuchtet mir nicht mehr ein. Ich kann mir zwar vorstellen, dass dies so ist, aber mit Sicherheit wissen kann ich das nicht.] Der Raum habe empirische Realität, er habe objektive Gültigkeit für alles, was uns erscheinen könne und er habe transzendentale Idealität, er sei ein Nichts, sobald wir die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung wegließen.

Zeit: Auch die Zeitvorstellung sei a priori. Sie sei die reine Form unseres inneren Sinnes. Allen inneren Gemütszuständen sei gemeinsam, dass sie nacheinander auftreten würden, sie seien in der Zeit. Auch die Zeit habe empirische Realität. Sie sei allgemein und notwendig für alle Erscheinungen und sie habe transzendentale Idealität. Den Dingen selbst komme sie nicht zu. Dass dieses nicht nur für die inneren Gemütszustände sondern auch für die äußeren Erscheinungen gelte, liege daran, dass uns alles Äußere nur in der Form von Vorstellungen in uns gegeben sei. Die Zeit sei dem Raum übergeordnet, sie sei das logisch frühere und Tiefere. [Meine  Kritik dazu weiter unten.]

Mathematik: Die Möglichkeit der Mathematik beruhe darauf, dass Raum und Zeit als apriorische Formen in uns lägen. Die apriorische Raumvorstellung ermögliche apriorische Sätze der  Geometrie, die apriorische Zeitvorstellung ermögliche apriorische Sätze der  Arithmetik, da alles Rechnen letztlich ein Zählen sei, d. h. ein Aufeinanderfolgen in der Zeit. [?]

[Mir ist nicht ganz einsichtig, wieso mathematische Urteile synthetische Urteile a priori sein sollen. 7 + 5 = 12 ist eine mathematische Gleichung. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich hier um ein analytisches Urteil. Noch deutlicher ist das bei 4 + 20 = 24. So sieht es auch Ayer. Für ihn sind selbst Sätze der reinen Geometrie analytisch a priori.  Hugo Dingler begründete Mathematik nicht wie Kant axiomatisch, sondern konstruktivistisch. Nach Hirschberger halten heute die meisten Mathematiker die Sätze der Mathematik für analytisch.]


Transzendentale Analytik

»Es ist nichts im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen war«, hatte  Locke gesagt. Leibniz hatte hinzugefügt: »Mit Ausnahme des Verstandes selbst.« Dies ist auch die Position Kants. Er will nun die apriorische Arbeitsweise des Verstandes untersuchen, d. h. er will untersuchen, was vor aller Erfahrung in unserem Verstand ist.

Begriffe ohne Anschauungen seien leer, Anschauungen ohne Begriffe seien blind. (Die alte Metaphysik habe Begriffe verwendet, die ohne Anschauung und damit leer gewesen seien.) So wie die Empfindungen durch die apriorischen Formen der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) geordnet würden, so forme jetzt der Verstand diesen sinnlichen Rohstoff zu Begriffen und verbinde die Begriffe zu Urteilen. Kant fragt nun, wie kommt es, dass unser Verstand Begriffe bilden kann, die mit einem bestimmten Gegenstand übereinstimmen.

Jede Begriffsbildung sei ein Urteilen. Für die begriffe-verknüpfende Tätigkeit des Verstandes habe die Logik seit  Aristoteles die Grundformen bereits aufgefunden. Die Tafel der Urteilsformen umfasst nach Kant vier mögliche Gesichtspunkte (links, lila), nach denen Begriffe in Beziehung gesetzt werden könnten, und jeder Gesichtspunkt umfasst drei Urteilsformen. Es existierten zwölf (apriorische) Formen (grün). In diesen Urteilsformen offenbaren sich nach Kant die Grundformen unseres Denkens. Sie müssten auch den Begriffsbildungen zu Grunde liegen. Wir bräuchten deshalb nur hinter diesen zwölf Urteilsformen den ihr entsprechenden Begriff, bzw. Kategorie zu suchen, so hätten wir die Grundformen aller Begriffsbildungen vor uns (gelb). Die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe ist das Kernstück der Kritik der reinen Vernunft.


Urteilsformen, Urteile und Kategorien
Quantität AllgemeineBesondereEinzelne
Alle Menschen denkenEinige Menschen sind WissenschaftlerKant ist ein Philosoph
EinheitVielheitAllheit
QualitätBejahendeVerneinendeUnendliche
Dieser Mensch ist PhilosophJener Mensch ist kein PhilosophJener Mensch ist nichtphilosophisch
RealitätNegationLimitation
RelationUnbedingteBedingte Ausschließende
Dieser Mensch philosophiert.Wenn ich nichts lerne,
dann bleibe ich dumm.
Entweder ich lerne,
oder ich bleibe dumm.
Substanz und AkzidensUrsache und Wirkung Gemeinschaft (Wechselw.)
ModalitätVermutendeBehauptendeNotwendige
Dieser Schüler kann Philosoph werdenDieser Schüler wird Philosoph Dieser Schüler muss Philosoph werden
Möglichkeit – UnmöglichkeitDasein – NichtdaseinNotwendigkeit – Zufälligkeit


(An dieser Tafel, den Urteilen und Kategorien, ist im weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte viel Kritik geübt worden. Schopenhauer sagte, wegen einem Hang zur Symmetrie habe Kant tote Fenster geschaffen. Nach Hirschberger hat die moderne Logik Kants Ableitung der Kategorien aus den Urteilen weitgehend verworfen. Schon die Deutschen Idealisten arbeiteten mit weit mehr Kategorien. Auch in den neukantianischen Systemen werden die Kategorien nicht unverändert vertreten.)

Empirische Begriffe: Aus den Empfindungen entstünden Anschauungen in Raum und Zeit. Der Verstand nun verknüpfe die Anschauungen nach den Gesichtspunkten der zwölf Kategorien.

Reine Begriffe: Die bloßen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes, also Raum, Zeit und Kategorien, werden miteinander verknüpft.

Metaphysische und transzendentale Deduktion: Die Ableitung der Kategorien aus den Urteilen nennt Kant »metaphysische  Deduktion«. Darüber gebe es aber noch eine »Transzendentale Deduktion«. Hier würden die Kategorien aus ihrer Quelle, dem denkenden Ich abgeleitet. Die Kategorien seien schon Synthesen, Verbindungen von Manigfaltigen. Die erste und oberste Synthese sei aber das »Ich denke«. Von hier leitet Kant die Behauptung ab – auf die die Deutschen Idealisten aufbauen werden –, dass der Mensch der Gesetzgeber der Natur sei.

Kant betont in der Frage des »Ichs« den Aktualismus und verwirft den  Substantialismus. Das Ich-Bewusstsein sei aber trotzdem unmittelbar gegeben und nicht hinwegzweifelbar. Kant unterscheidet zwischen einem »logischen Ich« und einem »empirischen Ich« Mit dem »logischen Ich« denke man sich eine absolute Einheit des Subjekts. Die Beziehung auf dieses »Ich« liege jeder Erkenntnis zu Grunde. Über dieses »Ich« könne man jedoch konkretes nicht sagen. Das »empirische Ich« sei innere Erscheinung, über das viel erkannt werden könne. Der Satz »Ich bin mir meiner bewusst«, beinhalte die zwei verschiedenen »Ichs«. (Ähnlich zum »logischen Ich« hat  Husserl später das »reine Ich« oder »transzendentale Ich« postuliert.)

Die gesetzmäßige Ordnung der Erscheinungen nennen wir nach Kant Natur, ihre Gesetze Naturgesetze. Diese Ordnung entstünde aber erst dadurch, dass wir die Erscheinungen nach den in unserem Verstand liegenden Normen verknüpfen würden. Hier liegt nach Kant seine »kopernikanische Tat«.


Der Mensch ist der Gesetzgeber der Natur! Unsere Erkenntnis richtet sich nicht nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände richten sich nach unserer Erkenntnis!

[Meine  Kritik dazu weiter unten.]

Transzendentale Urteilskraft: Dass unser Verstand die Fähigkeit besitze, auf den ungeordneten Haufen des sinnlich Materials die richtige der zwölf Kategorien anzuwenden, nennt Kant »Urteilskraft«.

Die Zeit als »Transzendentales Schema«: Es müsse etwas geben, dass mit den von ihren Ursachen her völlig ungleichartigen Erscheinungen und Kategorien etwas gemeinsames habe. Dies sei die Zeit Sie enthalte sowohl sinnliche wie transzendental-begriffliche Elemente. Die Kategorien seien an bestimmte Zeitbestimmtheiten gebunden. Die vier möglichen Gesichtspunkte Quantität, Qualität, Relation und Modalität entsprechen der Zeitreihe, dem Zeitinhalt, der Zeitordnung und dem Zeitbegriff.

Aus der Anwendung der Kategorien auf das sinnliche Material werden die Grundsätze des reinen Verstandes abgeleitet, die die Grundlinien der Gegenstände aufzeigen, bzw. diese schaffen. Denn auch diese Grundsätze sind wie die Kategorien nicht in der Wirklichkeit, sondern im Verstand.

Nach der kantischen Erkenntnislehre werden Gegenstände und Naturgesetze von den Menschen nicht vorgefunden, sondern von ihnen geschaffen. Nach in ihnen liegenden gesetzmäßigen subjektiven Denkformen. Aber nicht unabhängig von äußeren Eindrücken. Hier wird Kant nun unterschiedlich interpretiert, bzw. weiterentwickelt. Wenn man die äußeren Eindrücke weglässt, ist man beim subjektiven, inter-subjektiven, objektiven oder absoluten  Idealismus, wie die Deutschen Idealisten nach ihm. Sieht man diese subjektiven Denkformen als Evolutionsprodukt, wie Konrad Lorenz es macht, dann bekommen wir mit unseren subjektiven Setzungen objektive Tatsachen in den Blick. Kant hat für beide Deutungen Aussagen hinterlassen.


Transzendentale Dialektik

Metaphysik als Wissenschaft unmöglich: Unser Wissen beschränke sich auf das Reich der Erscheinungen. Eine Wissenschaft des Übersinnlichen sei deshalb unmöglich.

Aber: »Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie mit Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.« (Beginn der Vorrede zur 1. Auflage der Kritik der reinen Vernunft.)

Die Vernunft führe uns zu vier Antinomien:

  1. Die Welt ist Endlich und Unendlich in Raum und Zeit.
  2. Es gibt nur einfache Teile oder was aus ihnen zusammengesetzt ist und es gibt keine einfachen Teile und nichts Zusammengesetztes.
  3. Die Kausalität der Natur begründet nicht alles, die Freiheit ist notwendiger Weise anzunehmen und es gibt keine Freiheit, sondern nur die Kausalität der Natur.
  4. Es gibt als Teil der Welt oder als ihre Ursache notwendiger Weise einen Gott und es gibt keine Notwendigkeit der Existenz Gottes.

Im Menschen liege ein unwiderstehlicher Drang, über die Welt der Erscheinungen hinauszugelangen. Was ist Seele? Was ist die Welt? Was ist Gott? Wir könnten diese Fragen nicht einfach abweisen. [Es gibt viele, die weisen sie ab!]

Vernunft das »Vermögen zu schließen«: Der Verstand bilde Begriffe und verknüpfe diese zu Urteilen. Die Vernunft verbinde die Urteile zu Schlüssen. So wie der Verstand das Mannigfaltige der Anschauungen in Begriffe ordne, so verbinde die Vernunft das Mannigfache der Begriffe und Urteile wiederum zu einem höheren Zusammenhang. Aus dieser Tätigkeit entstehe das natürliche Bestreben, die Mannigfaltigkeit nicht nur relativ in höhere Teileinheiten zu vereinheitlichen, sondern eine vollkommene Einheit herzustellen. Die Vernunft strebe nach einem Unbedingten. Dieses Streben werde geleitet von leitenden Vernunftbegriffen, den »Ideen«.

Vernunft das »Vermögen der Ideen«: Idee bedeutet bei Kant etwas anderes als bei  Platon; keine vom Menschen unabhängig existierende Ursachen alles anderen, sondern »regulative Prinzipien«, mit denen unsere Vernunft arbeitet. Vernunft bedeutet in dem Abschnitt »Transzendentalen Dialektik« etwas anderes als im Titel des ganzen Werkes. Die Vernunft im hier gebrauchten Sinne bildet ein weiteres, ein 3. Stockwerk über Sinnlichkeit und Verstand. Die Vernunft leite den Verstand auf ähnliche Weise wie der Verstand die Sinnlichkeit erleuchte.

Wie aus der Tafel der Urteilsformen hervorgeht, gibt es nach Kant drei verschiedene Arten Sätzen zu verknüpfen: Kategorische, hypothetische und disjunktive .

Diese drei Ideen seien denkmöglich, sie enthielten keine Widersprüche, sie würden sich beim Gebrauch der Vernunft geradezu zwangsläufig ergeben meint Kant. [Mir erscheint besonders die 3. Idee sehr konstruiert.] Aber wir dürften hier nicht Denken und Erkennen verwechseln.

Die Vernunft sage dem Verstand nur, wie er verfahren solle, nicht wie er verfahren müsse. Du sollst alle psychischen Erscheinungen so verknüpfen, als ob ihnen eine Einheit, die Seele, zugrunde läge. Du sollst die Reihe der bedingten Erscheinungen so verknüpfen, als ob ihnen eine unbedingte Einheit, die Welt, zugrunde läge. Du sollst so denken, als ob es zu allem, was existiert, eine erste notwendige Ursache, den göttlichen Schöpfer gäbe.

Die Vernunft könne metaphysische Ideen wie Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nicht beweisen, sie könne sie aber auch nicht widerlegen. Deshalb besteht die Möglichkeit, sie zu glauben. [Man kann sich unendlich viele Aussagen denken und nicht widerlegen.]

Eine schematische Darstellung des architektonischen Aufbaus der reinen Vernunft, wie Kant es sich vorstellt, findet man bei Störig, S. 405.


Die Kritik der praktischen Vernunft

Der Mensch sei nicht nur ein erkennendes, sondern auch ein handelndes Wesen. Er mache von seiner Vernunft einen praktischen Gebrauch. Die praktische Seite der Vernunft behandelt Kant auch in der Schrift  Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.

Es gebe zwei Stufen des Willens (Begehrungsvermögen), das bloße sinnliche Begehren als unteres Vermögen und die praktische Vernunft als oberes Vermögen.

Autonomie: Werde unser Wille durch Gesetze bestimmt, die in uns, in unserer Vernunft liegen, dann ist die Vernunft nach Kant autonom.

Heteronomie: Werde unser Wille bestimmt von etwas, das außerhalb von uns, außerhalb unserer Vernunft liege, dann werde unser Wille durch ein fremdes Gesetz bestimmt.

[Interessant ist hier, dass die Formulierungen »in uns« und »in unserer Vernunft« so gebraucht werden, als sei dies das Gleiche, der Mensch also Vernunft und sonst nichts ist. Ich sehe das so, dass mein Wille die letzten Ziele unabhängig von der Vernunft setzt. Die Vernunft kann nur Teilziele setzen.]

Die bisherigen Philosophen hätten den Bestimmungsgrad unseres Willens außerhalb von uns gelegt, z. B. in der »Glückseligkeit« oder im »höchstes Gut«. Das sei Heteronomität. Wie man am besten zu einem erstrebten Gut gelange, sei eine Sache der Erfahrung. Ein wirklich allgemein geltendes Prinzip könne nur der Vernunft entnommen werden.

Eine kritische Untersuchung der praktischen Vernunft zeige, dass in unserer Vernunft eine ganze Anzahl verschiedener Grundsätze vorhanden seien, die auf die Bestimmung des Willens zielten.

Maxime: Ein Grundsatz, der nur für das Handeln eines einzelnen Menschen gelten soll.

Die Gesetze der theoretischen Vernunft hätten einen zwingenden Charakter. Sie sagten: »So ist es!«

Die Gesetze der praktischen Vernunft hätten dagegen einen fordernden Charakter. Sie sagten: »So sollst du handeln.« Die praktischen Gesetze glichen Befehlen. Man könne sie ausführen, man könne es aber auch lassen. (Dann müsse man allerdings auch die Folgen in Kauf nehmen.) Kant nennt die praktischen Gesetze deshalb »Imperative«.

Hypothetischer und kategorischer Imperativ: Es gebe Gesetze, die würden allgemein aber nur bedingt gelten (Wenn ... dann ...). Dies seiend hypothetische Imperative. Und es gebe Gesetz, die würden allgemein und unbedingt gelten. Dies seien kategorischen Imperative. Eine Ethik, die allgemein und unbedingt gelten soll, könne nur aus einem kategorischen Imperativ heraus begründet werden.

Ein grafisches Schema der praktischen Vernunft, wie Kant sie sich vorstellt, findet man bei Störig, S. 408.

Wenn ich von einem Gesetz, welches lautet: Du sollst das und das tun, du sollst das und das erstreben, das Objekt, den Gegenstand wegnähme, bleibt dann überhaupt noch etwas davon übrig? Es bleibt die bloße Form eines allgemeinen Gesetzes.

Kants Grundgesetz der praktischen Vernunft lautet (VII/140):


Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.


Dieses Gesetz passe wegen seines bloß formalen Charakters auf jeden beliebigen Inhalt. Kann ich wollen, dass alle Menschen stehlen? Kann ich wollen, dass alle Menschen lügen? Das kann ich nicht wollen, also unterlasse auch ich es. [Meine  Kritik dazu weiter unten.]

Da Kant hiermit die Auffassung vertritt, man könne mit Hilfe der Vernunft Ethik begründen, wird er als Verstandes- oder  Vernunftethiker bezeichnet. (Gegensatz:  Gefühlsethik.)

Kant war der Überzeugung kein Moralprinzip erfunden zu haben. Er wollte nicht diesen kategorischen Imperativ von außen an die Menschen herantragen (das wäre Heteronomie), sondern er glaubte, dass dieser kategorische Imperativ das allgemeine Prinzip der praktischen Vernunft sei. So wie er könne jeder andere Mensch zu jeder Zeit das Gleiche finden, wenn er auf die Stimme seines Gewissens achte.

Willensfreiheit: Die Existenz von Imperativen habe nur dann einen Sinn, wenn wir frei seien. Die praktische Vernunft zwinge uns dazu, die Freiheit des Willens anzunehmen. Nicht etwa »Du sollst, denn du kannst!«, sondern »Du kannst, denn du sollst!« [Meine  Kritik dazu weiter unten.]

Die Kausalität ist nach Kant etwas, das nur für die Welt der Erscheinungen gilt, nicht für die Dinge an sich. Der Mensch sei einerseits eine Erscheinung und andererseits ein Ding an sich. In unserem sittlichen Handeln würden wir uns über die Sphäre der Dinge als Erscheinungen in eine übersinnliche Welt erheben. In dieser seien wir frei und das Sittengesetz bestehe zu recht.

 Gut und böse: Wie man handeln solle, folge nicht daraus, was »gut« sei. Umgekehrt, aus dem Sittengesetz, das sage, wie man handeln solle, folgte erst, was gut sei. Gut sei der sittliche Wille. Auf die innere Einstellung komme es an. Wer einem anderen helfe, weil er ihn mag, oder weil er glaube, dass die Gesellschaft dies von ihm erwarte [oder weil er sich Belohnung im Himmel erhofft], der handele zwar so, wie es das Sittengesetz verlange. Seine Handlung habe Legalität aber keine Moralität, da er nicht aus Pflicht handele, sondern aus anderen Motiven. (Wie  Abälard,  Schankara.)

Pflicht und Neigung: Die Erhabenheit des Sittengesetzes komme darin zum Ausdruck, dass es uns nötigt, ohne oder gar gegen unsere Neigung zu handeln, allein um der moralischen Nötigung willen.

[Das heißt nichts anderes, als dass Kant in sich eine starke Neigung vorfindet, sich an die sittlichen Werte, die er in sich hat, zu halten und andere Neigungen zurückstellen. Er folgt genauso den stärksten Neigungen in ihm, wie andere Menschen auch.]

Postulate der Praktischen Vernunft sind für Kant: Freiheit des Willes, Unsterblichkeit der Seele und die Existenz Gottes. (Näheres bei  Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.)

Der Mensch ist ein Bürger zweier Welten. Im Bereich der Erscheinungen sei alles, was er ist und tut, ein winziges Glied im notwendigen Zusammenhang. Aber gleichzeitig gehöre er einem übersinnlichen, über Raum und Zeit erhabenen Reich der Freiheit an.


»Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir [...] Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart [...]«

Aus der Kritik der Praktischen Vernunft (Kant Werke V, S. 95)


Die Kritik der Urteilskraft

Die Kritik der Urteilskraft besteht aus zwei Teilen:

Urteilskraft sei das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken.

Bestimmende Urteilskraft sei das Vermögen, zu einem gegebenen Allgemeinen das darunter zu ordnende Besondere zu finden, also die Kategorien auf die Anschauungsinhalte richtig anzuwenden.( Deduktion)

Reflektierende Urteilskraft sei das Vermögen zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine aufzufinden. ( Induktion)

In unseren Gefühlen bezögen wir die Vorstellung eines Gegenstandes auf einen Maßstab, der in uns liege.

Alle Gefühle in uns seien Lust- und Unlustgefühle. Lust empfänden wir, wenn wir uns ein Bedürfnis befriedigen können. Unlust empfänden wir, wenn uns die Bedürfnisbefriedigung versagt ist. ( Spinoza) Bedürfnis könnten wir auch »Zweck« nennen und kämen dann zum Begriff der Zweckmäßigkeit. Eine Aussage über eine Gefühlserfahrung habe immer die Form der Unterordnung eines vorgestellten Gegenstandes unter einen Zweck.

Wen mir etwas schmecke, dann müsse dies einem anderen deshalb nicht automatisch auch schmecken. (»De gustibus non est disputandum« wussten schon die Römer.) Der Geschmack sei subjektiv und oft eine Frage der jeweiligen Stimmung.

Wenn jemand etwas als ästhetisch schön bezeichne, dann hätte er schon eher den Anspruch, wenn auch nicht in dem selben Maße wie bei theoretischen und moralischen Urteilen, eine objektive Tatsache zu behaupten, dass also auch andere das gleiche Urteil fällen müssten. Wenn das bei einem andern Menschen nicht der Fall ist, neige der Mensch dazu, dem Anderen den Geschmack abzusprechen.

[Es gibt Urteile, bei denen fast alle Menschen sagen werden, sie sind objektiv gültig (2 x 2 = 4) und Urteile, bei denen fast alle Menschen sagen, sie sind nur subjektiv gültig. (Schokoladeneis schmeckt besser als Erdbeereis.) Aber dazwischen gibt es viele Urteil, bei denen es nicht so klar erkennbar ist. Die Grenze ist fließend.]

Hiermit beschäftigt sich die Kritik der Ästhetische Urteilskraft (Ästhetik hat hier im Unterschied zur Kritik der reinen Vernunft die heute gebräuchliche Bedeutung, also »Lehre vom Schönen«.)

Ein zweites Gebiet, in dem wir ständig Aussagen über Zweckmäßigkeiten machten, sei das organische Leben. Die Zweckmäßigkeit sei hier allerdings eine andere, als in der Ästhetik.

Objektive Zweckmäßigkeit: Das Schöne rufe in einem Menschen ein Gefühl der Lust hervor, weil es mit etwas, das in ihm sei, in Harmonie stehe. [Die Grundmuster gegengeschlechtlicher Menschen sind nach Hoimar von Ditfurth im Zwischenhirn gespeichert.] Die Befriedigung, die man empfände, wenn man den zweckmäßigen Bau eines lebenden Organismus betrachte, sei nicht eine des Gefühls, sondern eine des Verstandes. Und zweckmäßig hieße hier, dass die Form des Gegenstandes nicht mit etwas in mir, sondern mit etwas in ihm selbst, mit seinem Wesen, mit seiner Bestimmung in Harmonie stehe.

Bei einem lebenden Wesen könne man, im Gegensatz zu einem toten Gegenstand, die Teile nicht ohne das Ganze denken. [?] Ein Organismus entstehe nicht durch ein Zusammenfügen seiner Teile. Die Teile seien nur in diesem Organismus möglich und verständlich. [?]

Genauso sei es bei einem von einem Menschen absichtlich hervorgebrachten Gegenstand. Hier seien die Teile gemäß einem vorgefassten Plan für das Ganze zweckmäßig.

Und in Analogie dazu könne man dem Verständnis eines lebenden Organismus näherkommen, in dem man auch ihn als eine nach einem Plan eingerichtete zweckmäßige Ganzheit ansehe.

Eine auf die objektive Zweckmäßigkeit der Dinge gerichtete Betrachtungsweise heißt eine teleologische. Der Zweiter Teil der Kritik der Urteilskraft bildet deshalb die Kritik der teleologischen Urteilskraft.


Das nachkritische Werk

In seinen »nachkritischen Schriften« bemüht sich Kant darum, aufzuzeigen, was man innerhalb der in den Kritiken gezogenen Grenzen über Gott, Welt und Menschen wissen kann.


Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

(Wegen dieser Schrift bekam Kant, der sich ansonsten uneingeschränkter Lehrfreiheit erfreute, Ärger mit der von aufklärungsfeindlichen Pfaffen geleiteten preußischen Zensurbehörde. Dies geschah nach dem Tode von  Friedrich dem Großen.)

Ein Dogmatismus, der seinen Glauben an Gott durch Wissen bewiesen sehen möchte, ist nach Kant unmöglich. Unser Wissen sei beschränkt auf die Dinge in Raum und Zeit. Die theoretische Vernunft könne über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit nichts aussagen, lasse sie lediglich als leitende Grundsätze zu und lasse die Möglichkeit an sie zu glauben.

Aber Kant begründet die Religion vom Handeln her neu. Die Praktische Vernunft veranlasse uns dazu an Gott, Unsterblichkeit und Freiheit zu glauben.

Unsterblichkeit: Nach Kant fühlen wir, dass es eine Unsterblichkeit gibt, auch wenn wir sie nicht beweisen könnten. Wenn das Sittengesetz in uns fordere, nicht nur nach diesseitigem Glück zu streben, sondern das Gute mit sittlicher Unbedingtheit zu tun, also Glückswürdigkeit zu erreichen, so müsse es einen gerechten Lohn im Jenseits für die sittliche Persönlichkeit geben. [Muss es nicht! Es ist immer wieder erstaunlich, wie naiv »große Philosophen« sein können. Da erwartet jemand Belohnung für sein »Sittliches Handeln«! Hier hat sich Kant ja mal wieder selbst ad absurdum geführt.  Siehe oben.]

Gott: Sittliches Handeln sei praktische Gottesbejahung. Konsequent sittliches Handeln sei nicht möglich ohne Glauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. [Quatsch!]

Moral und Religion: Die  Moral sei das Ursprüngliche, die Religion komme hinzu. Religion sei die Erkenntnis unserer Pflichten als göttliche Gebote. Die Religion decke sich inhaltlich mit der Moral. [?]

Wenn es nur eine Moral gebe wieso gebe es dann verschiedene Religionen? Die verschiedenen geschichtlichen Religionen seien dadurch entstanden, dass die Menschen in das Reich der einzigen Religion eine Anzahl von Glaubenssätzen hineingetan hätten, die sie zu Unrecht für göttliche Gebote hielten.

Wenn aus allen geschichtlichen Religionen der reine moralische Kern herausgeschält werden soll, dann müssten sie am Prüfstein der sittlichen Vernunft gemessen werden, um Echtes von Unechtem zu trennen. Kant kommt zu dem Ergebnis, dass das Christentum die einzige moralisch vollkommene Religion ist. [Vollkommener Blödsinn! Wenn Kant in einem moslemischen Land großgeworden und gelebt hätte, dann wäre der Islam die einzige moralische Religion für ihn, wäre er unter Juden großgeworden, das Judentum usw. usf.]


Metaphysik der Sitten in zwei Teilen

Alles menschliches Handeln habe zwei Seiten, eine äußerliche, juristische, indem es an bestehende Gesetze gebunden sein solle, und eine innere, moralische, indem es der selbständigen Willensbildung des Handelnden entspringe. Entsprechend hat die Metaphysik der Sitten zwei Teile: (Alle folgenden Zitate aus der Metaphysik der Sitten ... aus Störig, soweit nicht anders angegeben.)

  1. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre
  2. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre

Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

Bei der Beurteilung was Recht ist, dürfe man nicht auf das sehen, was zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort als Recht galt oder gilt (denn da gibt es beträchtliche Unterschiede), sondern man müsse nach dem allgemeinen Kriterium für Recht suchen. [Dem stimme ich zu.]

»Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann.«

[Mit anderen Worten: Die Gesetze sollen so sein, dass jeder tun und lassen kann was er will, solange er nicht durch sein Handeln andern dieses Recht nimmt. Die Freiheit des einzelnen hat ihre Grenzen nur in der Freiheit der anderen. Liegt es an Kant oder an der damaligen Zeit oder an mir, dass ich den Eindruck nicht loswerde, Kant gebe laufend einfachste Grundsätze in einer unnötig komplizierten, verklausulierten Sprache wieder?]

»Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen.« Kant unterscheidet wie Montesquieu drei Gewalten. Die Gesetzgebende könne nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen.

Kant hat die Revolution theoretisch abgelehnt und die Reform durch den Souverän (hier ist nicht das Volk gemeint, sondern der König, Fürst u. ä.) als einzig legitim bezeichnet. Das hat ihn aber nicht daran gehindert, mit der Französischen Revolution zu sympathisieren, diese zu begrüßen. [War er nun schizophren oder hat er sich bloß nicht getraut, in Preußen etwas vergleichbares zur Französischen Revolution zu fordern? Er hielt wohl Staat und Gesellschaft in Preußen für reformierbar. Unter  Friedrich dem Großen konnte man vielleicht solche Hoffnungen haben. Wegen der zeitlichen Distanz will ich mir da kein Urteil erlauben.]


»Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.«



Aus: Was ist Aufklärung? [Die weitere Entwicklung hat Kant recht gegeben. Der »gedankenlose große Haufen« ist in Zeiten von großen Umbrüchen und Revolutionen oder nachrevolutionären Verhältnissen meistens irgendwelchen Rattenfänger nachgelaufen (Schlimmste Beispiele: Stalin und Hitler; fast so schlimm: Napoleon.) Hin und wieder wird man aber durch eine Revolution einen Tyrannen beseitigen müssen. Ich stimme Kant und  Locke aber zu, dass Reform – wenn immer sie geht –, der Revolution vorzuziehen ist.]

Vom Staatsrecht geht Kant über zum Völkerrecht (beinhaltend das Recht des Krieges) und von dort zum Weltbürgerrecht.

Die Schaffung eines Völkerbundes und die Herstellung eines ewigen Friedens lag Kant so sehr am Herzen, dass er unter dem Titel Zum ewigen Frieden ein Vertragswerk formulierte.


Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre

Pflichten gegen sich selbst: Der Mensch als sittlich freier gebe sich selbst als Sinneswesen Gesetze.


Pflichten gegen andere Menschen:

Beiwerke der Tugend: Zugänglichkeit, Gesprächigkeit, Höflichkeit, Gastfreiheit. Sie erzeugten lediglich einen schönen Schein. Sie seien aber nicht ganz wertlos, da sie im Menschen das Bestreben erzeugten, die Wirklichkeit dem Schein anzunähern.

Gegen Askese und Trübsinn: Kant wendet sich gegen die Mönchsasketik, da diese den Frohsinn, der die Tugend begleite, nicht bewirken könne, sondern nicht ohne geheimen Hass gegen die Tugendlehre geschehe. Man solle aber fröhlichen Gemüts seine Pflichten erfüllen, denn was man ohne Lust mache, das habe keinen inneren Wert. [Folgerichtig, wenn der gute Wille das Entscheidende ist.]


Meine Kritik an Kant

Viele kritische Anmerkungen stehen bereits hinter den Darstellungen seiner Positionen. Hier die etwas längeren Ausführungen.

Zu den »Dinge an sich«: Ich will nicht mit Absolutheitsanspruch behaupten, es gäbe keine äußeren Gegenstände, die an meine Sinne rühren, aber eine unbezweifelbare Tatsache ist dies nicht. Im Traum erlebe ich auch eine gegenständliche Welt und nach der gängigen Auffassung ist diese ein Produkt meines Geistes, ohne dass es tatsächlicher Gegenstände bedarf, die an meine Sinne rühren. Kant fällt hier hinter  Hume zurück. Ob es unabhängig von mir existierende Gegenstände gibt, ist vielleicht nur dialektisch zu beantworten: Es kommt immer darauf an, wie man es gerade sieht. Letztendlich ist es aber nicht erkennbar. So war denn auch ein Wesenszug des  Neukantianismus der weitgehende Verzicht auf das »Ding an sich«.

Obwohl Kant sagt, dass sich unser Wissen immer auf die Welt der Erscheinungen beschränkt, sagt er trotzdem, was die Dinge an sich nicht sind. Dies ist inkonsequent. Ob Raum und Zeit und die Kategorien einschließlich der Kausalität in der Sphäre der Dinge an sich wirklich nicht existieren, entzieht sich meiner Kenntnis.

Dass uns alles Äußere nur in der Form von Vorstellungen in uns gegeben ist, habe ich selbst viele Jahre geglaubt. Inzwischen weiß ich aber, dass dies ein fundamentaler Irrtum ist! Wenn es überhaupt etwas gibt, das über jeglichen Zweifel erhaben ist, dann ist es doch wohl das, was jetzt in diesem Moment erlebnismäßig für mich vorhanden ist, was jetzt in diesem Moment unmittelbar passiert. (Die Wortwahl entscheidet schon darüber, in welche Richtung man weiter denkt!) In diesem unmittelbaren Erleben ist die Welt nicht in mir, sondern außer mir, um mich herum. Würde ich von allem Äußeren nur durch Vorstellungen in mir, in meinem Kopf wissen, dann müsste konsequenterweise alles (was für mich existiert) in meinem Kopf existieren, mein Kopf müsste alles (von dem ich weiß) umfassen. Das tut er aber nicht.

Wenn das unabhängig von mir existierende nicht in Raum und Zeit ist, dann ist es extrem irreführend, dafür den Begriff »Ding« zu benutzen. Dann soll man gleich »Idee« sagen.

Interessant ist, wie Hoimar v. Ditfurth im Lichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts – und angeregt durch Konrad Lorenz – die Auffassungen Kants darstellt ( Innenansichten): Ditfurth sagt, unsere menschliche Vorstellung von Raum und Zeit tragen wir Menschen in die Welt hinein, aber nicht jegliche Form von Raum und Zeit. Es gebe eine objektive Zeit und einen objektiven Raum. Aber der objektive Raum ist  »nichteuklidisch«, nicht grenzenlos, sondern immer in sich zurückgekrümmt. Die objektive Zeit ist relativ, hängt ab, von Massen und deren Bewegung. Eine solche Auffassung von Raum und Zeit ist mir plausibler als die original kantische.

Diese Behauptung, dass der Mensch der Gesetzgeber der Natur ist, folgt aus den anderen Behauptungen Kants. Die innere Konsistenz ist gewahrt. Trotzdem ist es verrückt! Wenn man jetzt noch auf die unbeweisbare Behauptung der Existenz von »Dingen an sich« verzichtet, dann ist man bei Fichte. Kein Wunder, dass die Philosophie Kants anfänglich mit der Berkeleys verwechselt wurde. Wenn die Menschen Schöpfer der Naturgesetze sind, dann ist es mir unverständlich, warum Kant dann überhaupt noch auf die vom Menschen unabhängig existierenden »Dingen an sich« besteht.

Während es beim Erkenntnisvorgang (Empirie und Ratio) noch im Grundsätzlichen Übereinstimmung gab zwischen Kant und der modernen Naturwissenschaft, so ist spätestens hier diese Übereinstimmung zu Ende.

Man könnte nun analog zu der oben bereits erwähnten Darstellung Kants durch  Hoimar v. Ditfurth sagen, so wie der menschliche Raum und die menschliche Zeit von uns in die Welt getragen werden, aber eben nicht jeglicher Raum und jegliche Zeit, so tragen wir Menschen auch unsere von uns erkannten, oder von uns vermuteten Gesetze in die Welt, aber eben nicht jegliche Art von Gesetzen.

Oder vielleicht noch besser: In dem von uns Menschen unabhängig existierenden Sein gibt es tatsächlich keinen Raum, keine Zeit und keine Gesetze, sondern etwas anderes, qualitativ weit über dem uns Menschen Begreifbaren hinaus. Aber dann kann man auch das »Ding an sich« weglassen, weil dieser Begriff nichts über das von uns unabhängig existierende aussagt.

Ich würde fast so weit gehen zu behaupten, dass Kant – wie nach bzw. parallel zu ihm Fichte und Schellingein inkonsequenter Hegelianer war. Nun gab es zu seinen Leb- und Schaffenszeiten die hegelsche Philosophie noch nicht. In der philosophischen Literatur lässt man in der Regel den deutsche Idealismus mit Kant beginnen und mit Hegel seinen Höhepunkt erreichen. Das leuchtet mir ein.

Zum Kategorischen Imperativ:
Kann ich wollen, dass alle Menschen Philosophieprofessoren werden? Kann ich natürlich nicht wollen, denn es sind für das Funktionieren einer arbeitsteiligen Gesellschaft auch noch andere Berufe nötig. Trotzdem werden einzelne Menschen Philosophieprofessoren. Kann ich wollen, dass alle Menschen Kaufleute oder Fabrikanten werden? Natürlich nicht. Denn es muss ja auch noch Leute geben, die die Lebensmittel herstellen. Ich kann nicht wollen, dass alle Menschen auf Kosten der Arbeit anderer Menschen leben, weil das überhaupt nicht funktionieren würde. Trotzdem leben in der Realität viele Menschen auf Kosten anderer und dazu noch völlig legal.

Und genauso kann ich nicht wollen, dass alle Menschen ständig und nur stehlen und lügen, weil ich erkennen kann, dass ein Zusammenleben in der Gesellschaft dann unmöglich würde. Das heißt aber nicht, dass ich nicht zum persönlichen Vorteil stehlen und lügen werde, wie die meisten anderen Menschen auch. So funktioniert die Welt. Der kantische kategorische Imperativ ist nichts anderes als der etwas intellektuell eingekleidete fromme, naive und weltfremde Spruch: Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.

Im übrigen ist Lügen und Stehlen elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Wir alle lügen häufig und wollen auch oft belogen seien. (mundus vult decipi) Die legale Ausbeutung im Produktionsprozess und die legale Art der Gewinnmachung im Handel oder durch Spekulationen der verschiedensten Art ist auch eine Art Stehlen. Und bisher sind alle Versuche an Stelle solcher gesellschaftlicher Verhältnisse andere zu setzen, gescheitert. [3]

Was Kant »Gewissen« nennt, kann man auch als das ihm anerzogene  »Über-Ich« interpretieren. Andere Menschen, besonders die zu anderen Zeiten und in anderen Kulturkreisen aufgewachsen sind, aber auch Menschen, die einfach nur unter anderen Lebensumständen großgeworden sind, z. B. als Kinder armer Leute oder als Kinder von Kriminellen usw., werden in sich möglicherweise anderes vorfinden als Kant in sich vorfand. Für solche Menschen ist der kategorische Imperativ Kants eben doch eine von außen herangetragene Forderung.

Kants Ableitung der Willensfreiheit ist die verrückteste, die ich kenne! Aber wenn man davon ausgeht, dass der Mensch der Schöpfer der Naturgesetze ist, dass es in der Sphäre der »Dinge an sich« keine Kausalität gibt, dann ist eine solche Einstellung folgerichtig. Die innere Konsistenz ist jedenfalls gewahrt. (Shakespeare: »Ist es gleich Wahnsinn, hat es doch Methode.«) Vielleicht ist der Mensch frei, vielleicht nicht. Kant glaubt es zu wissen, ich glaube es nicht zu wissen.

In Anlehnung an den Satz »Du kannst, denn Du sollst!« habe ich den Satz kreiert: Du musst, denn du willst! Die letzten Ziele unseres Handels sind von unserem Willen gesetzt. Die Vernunft kann nur Teilziele festlegen. Die Vernunft kann mir z. B. nicht sagen. »Lebe!« Die Vernunft könnte mir auch sagen: »Sterbe! Dann hast du's hinter dir. Früher oder später stirbst du ja sowieso. Wozu die ganze Plagerei?« Ich will leben. Ich will bei guter Gesundheit ein hohes Alter erreichen. Wenn ich das aber will, dann muss ich bestimmte Dinge tun, die mein Verstand mir rät. So ist es auch mit anderen Zielen.

Also nicht »Du kannst, denn Du sollst!« Auch nicht »Du sollst, denn Du kannst!« Nein. »Du musst, denn Du willst!« Aber wenn du nicht willst, dann musst du auch nicht.


Andere Philosophen zu Kant

Heinrich Heine: Nachdem Kant mit der Kritik der reinen Vernunft der Religion den Todesstoß versetzt hat, geht er mit seinem Diener Lampe spazieren und bemerkt, dass die Augen des alten Mannes mit Tränen gefüllt sind. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, dass er nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist; und halb gutmütig, halb ironisch spricht er: »Der alte Lampe muss einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein, sagt die praktische Vernunft – meinetwegen, so mag die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.«

 Herder (über die Kategorien): »öde Wüste voll leerer Hirngeburten ... anmaßende Wortnebel.«

 Jacobi: Indem Kant die Affektion der Sinne von den Körperdingen ausgehen lässt, wendet er selbst die Kausalität auf die Dinge an sich an.

 Popper schätzt Kant sehr, sagt aber, dass dieser letztendlich nicht kritisch genug war. Unsere Verstandesschöpfungen haben einen reinen Versuchscharakter. Wir wissen viel weniger als Kant geglaubt hat. [!]

Die Vertreter des Radikalen Konstruktivismus sehen in Kant einen ihrer – allerdings inkonsequenten – Vorläufer.

Paul Ree: »Man ist bei Kant wie auf dem Jahrmarkt. Da ist alles zu haben: Willensfreiheit und Willensunfreiheit ..., Atheismus und der Liebe Gott.«

Schopenhauer: Kant deckt das Grundlose (der spekulativen Theologie) auf, lässt hingegen die populäre unangetastet und stellt sie sogar in veredelter Form auf,

Schulze: Kant soll zu Hume zurückkehren, bei dem subjektive Formen des Denkens Psychologismen sind und keine transzendentallogische Geltung haben.


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Anmerkungen

Anm. 1: In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant, was er unter dieser »Kopernikanischen Wende« versteht: »Es ist hiermit ebenso, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müsste, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen.« [Auf diese Weise bekommt man ein subjektives oder inter-subjektives Wirklichkeitsbild. Und da unser subjektives und inter-subjektives Wirklichkeitsbild ein Teil dessen ist, was objektiv existiert, bekommen wir dadurch einen Teil des objektiv Existierenden in den Blick. Aber nicht die Objektivität schlechthin. Welche Bedeutung unser Wissen im Sein schlechthin hat, können wir nicht wissen. So sagt denn  Hoimar von Ditfurth: »Wir müssen die Möglichkeit einräumen, dass der Unterschied zwischen uns und der Amöbe vor unseren Augen fast zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen könnte, wenn wir den noch vielfach gewaltigeren Abgrund zu sehen vermöchten, der auch uns noch immer von der ›Wahrheit der Welt‹ trennt.«] Zurück zum Text

Anm. 2: Zu den Leb- und Schaffenszeiten von Leibniz und Kant wurde zwischen Kraft und Energie nicht unterschieden wie in der heutige Physik. Wenn also diese beiden von Kraft sprechen, kann man das heute mit Energie übersetzen. Näheres im philolex-Beitrag Kraft. Zurück zum Text

Anm. 3: Da es mehrfach Einwände gegen meine Kritik am Kategorischen Imperativ gab, die nach meinem Empfinden auf Missverständnissen beruhten, möchte ich meine Position hier noch einmal verdeutlichen.
Das Problem ist nicht, dass Menschen verschiedene Berufe ausüben, sondern dass diese verschiedenen Berufe 1. mit (zum Teil gravierenden) Unterschieden verbunden sind, was Zugang zu materiellem Reichtum und/oder zur geistig kulturellen Welt betrifft, und dass 2. der Zugang zu den Berufen, die mit einem privilegierten Zugang zu Reichtum, Bildung und Kultur verbunden sind, nicht jedem offenstehen. Der Zugang hängt in der Regel nicht von den individuellen Potenzen ab, sondern von der sozialen Stellung der Eltern.
Es gibt ganz legale Formen von Lügen und Stehlen, ohne die unsere bürgerliche Gesellschaft gar nicht funktionieren könnte. Viele (nicht alle!) reichen Leute verdanken ihr luxuriöses Leben der Arbeit anderer. Vor langer Zeit (bevor ich über den 2. Bildungsweg studierte) war ich Lehrling. Ich habe einige Jahre für einen Stundenlohn von ein bis zwei Mark gearbeitet und wenn meine Chefs nicht diverse Lehrlinge gehabt hätten, hätten ihre kleinen Firmen nicht überleben können. Auf jeden Fall wären sie nicht Mercedes gefahren.
Das Beispiel »Philosophieprofessor« habe ich gewählt, weil Kant Philosophieprofessor war. Ich hätte auch fragen können: »Kann ich wollen, dass jeder König ist?« Das kann ich natürlich nicht wollen. Wer würde dann die Lebensmittel herstellen? Nichtsdestotrotz gibt es Könige, ohne dass die Welt daran zugrunde geht.
Philosophieprofessor, König, Fabrikant, Arbeiter, Bauer etc. sind nicht einfach nur Berufsbezeichnungen. Sie sagen etwas über die soziale Stellung der Menschen aus. Und hier ist dann auch das Eigentum von Interesse. (Dessen Schutz  Locke so sehr am Herzen lag.) Der Eine wird in eine Familie hineingeboren, in der Reichtum und Bildung ist. Der Andere wird in eine Familie hineingeboren, wo Armut und Unwissenheit ist. Die Wahrscheinlich ist ziemlich groß, dass der Eine später reich und gebildet, der Andere später arm und ungebildet ist. Wenn nun der Arme dem Reichen etwas stiehlt, ist das ethisch verwerflich. Aber ist es nicht schon ethisch verwerflich, dass Menschen nur auf Grund ihrer Geburt mehr haben als andere? Aus welchem Grunde sollte der Arme ein Interesse am Schutz des Eigentums des Reichen haben? Die herrschende Eigentumsordnung ist ein Instrument seiner Unterdrückung, seiner Benachteiligung. (Es sei denn, man sieht es wie John Rawls bevor er seine ursprünglichen Auffassungen mehr und mehr verwässerte.)
Das Problem ist, dass die große Mehrheit derer, die durch die herrschende Eigentumsordnung in der bürgerlichen Gesellschaft benachteiligt sind, das nicht bemerken, oder aber kein Problem darin sehen. Und die Benachteiligten in der 3. Welt sind zu ohnmächtig um etwas zu ändern.
Es gibt ein strukturelles Unrecht, das in der Funktionsweise der Gesellschaft und der Natur begründet ist. Wobei sich hier dann die Frage ergibt, was Recht und Unrecht überhaupt ist. Gibt es überhaupt soetwas wie »Recht an sich« oder ist Recht und Unrecht immer eine Frage der subjektiven Wertung?
Der kantische Kategorischen Imperativ ist im Anbetracht der Funktionsweise und des Zustandes der Welt ein frommer Wunsch, er ist inkonsequent bis verlogen. Wer ihn Ernst nimmt, müsste sich für die (auch ökonomische) Gleichheit aller Menschen einsetzen, also für das, was  Marx unter Kommunismus verstand. (Was die im »Osten« gemacht haben, hatte damit nichts zu tun.) Aber der Kommunismus scheitert an der Natur des Menschen. Zurück zum Text


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