Sigmund Freud / Psychoanalyse

Allgemeines: Sigmund Freud (1856–1939), Österreicher jüdischer Abstammung, Begründer der Psychoanalyse. Die  Tiefenpsychologie wurde von ihm zwar nicht begründet, aber populär gemacht. Sie wurde erst durch ihn innerhalb der Psychologie zu einer bedeutenden Strömung. Freud war ursprünglich Nervenarzt und wurde später zu einem psychologischen Theoretiker. Er war kein Philosoph. Aber seine psychologischen Theorien beinhalten philosophische Aussagen. Außerdem hat er viele Gegenwartsphilosophen stark beeinflusst und ist deshalb eine Person von großem philosophischem Interesse. Dass die in seinen Theorien vorhandenen philosophischen Aussagen in den Abhandlungen zur Gegenwartsphilosophie in der Regel nicht behandelt werden – man findet den Namen Freud häufig nur bei der Beschreibung von Philosophen, die von seinen Gedanken beeinflusst waren – empfinde ich als ein Manko. (Z. B. die philosophischen Theorien der »Frankfurter Schule« und ihrer Exponenten sind ohne eine Grundkenntnis der Anschauungen Freuds nicht zu verstehen.


Sigmund Freud / Psychoanalyse ausführlicher


Einige Aspekte der Auffassungen Freuds

Die Bedeutung eines Wissenschaftlers oder Philosophen bemisst sich nicht nur daran, was zu einem späteren Zeitpunkt von seinen Auffassungen noch als richtig angesehen wird. Mindestens so wichtig wenn nicht wichtiger ist, welche Bewegung er ausgelöst hat, auch wenn die Entwicklungen dann über ihn hinausgegangen sind. Wie war der Entwicklungsstand einer Wissenschaft, bzw. gab es diese Wissenschaft überhaupt schon? Was hat eine Person neu hinzugefügt? Es geht also auch um die geschichtliche Bedeutung einer Person.

Außerordentliche gesellschaftliche und wissenschaftliche Auswirkungen: Freud hat ein psychologisches Theoriegebäude entwickelt, dass einen gewaltigen Einfluss auf die Psychologie und darüber hinaus auf die gesamte Wissenschaft, die Erziehung und die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts gehabt hat. Freud wird in seiner Wirkung auf das Bild, das der Mensch von sich und von seiner Stellung in der Welt hat, in der Literatur häufig mit Kopernikus und Darwin auf eine Stufe gestellt. Viele der von ihm beeinflussten Psychologen, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler haben später dann allerdings in vielen Details andere Auffassungen als Freud vertreten.

Freud hat verschiedene Strukturmodelle des Psychischen entwickelt, die sich überlagern und ergänzen. Das mag am Beginn der Beschäftigung mit seinen Theorien etwas verwirrend sein. Man muss beachten, dass eine nachträgliche systematische und dann auch noch geraffte Zusammenfassung der Theorien eines Wissenschaftlers oder Philosophen die zeitliche Aufeinanderfolge seiner Arbeiten nicht genügend berücksichtigen kann. Hinter den wenigen Absätzen dieses Textes über Freud steht ein jahrzehntelanges Forscherleben.

Unbewusstes: Die Originalität der freudschen Theorie bestand in der Entdeckung, dass große Teile unseres Verhaltens nicht unserer bewussten Kontrolle unterliegen, sondern aus dem Unbewussten gesteuert werden. [1] Für Freud ist das Unbewusste mehr als ein Noch-nicht-Bewusstes, es sei vom Bewusstsein abgetrennt, dem Willen entzogen, sei aber aktiv und könne zu psychischen Störungen führen, von harmlosen Versprechern bis zu schweren Geisteskrankheiten.

Bewusst, vorbewusst und unbewusst: Bewusstsein bezeichne eine subjektive Erlebnisqualität innerer Vorgänge. [2] Beim Unbewussten unterschied Freud zwischen bewusstseinsfähigem und »an sich und ohne weiteres« nicht bewusstseinsfähigem. Ersteres nannte er »vorbewusst«. [Mitunter wird auch der Begriff »unterbewusst« benutzt, der aber umstritten ist.]

Neurosen: Auf Grundlage seiner therapeutischen Erfahrung als Nervenarzt – und natürlich von Intuition, einige werden auch sagen »Einbildungskraft« – entwickelte Freud die Auffassung, dass viele psychische Störungen auf eine Erziehung zurückzuführen sei, die die Sexualität unterdrücke und tabuisiere. Grundlage psychischer Störungen sei eine konflikthafte und mangelhafte Erlebnisverarbeitung.

Verdrängung: Seelische Störungen seien ins Unbewusste verdrängte Vorstellungen, Ängste und Wünsche, besonders sexueller Natur.

Freud hat den Anstoß gegeben zur Enttabuisierung der Sexualität. Das ist eines seiner größten Verdienste. Er hat nicht nur die Existenz eines Unbewussten behauptet, sondern auch noch, dass es von sexuellen Trieben und Wünschen dominiert werde. Er hat in einer sexualitätsfeindlichen (christlichen), die reale Sexualität tabuisierenden Welt erklärt, dass schon Kinder sexuelle Bedürfnisse haben. (Wobei er aber eine Trennung der Sexualität von den Genitalien vornahm.) In einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung sogar das Bedürfnis nach Sex mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil. Was dies zu der damaligen Zeit bedeutete, kann wahrscheinlich nur noch schwer jemand nachvollziehen, der in eine Gesellschaft hineinwächst, in der es fast schon zum guten Ton gehört, über seine Orgasmus-Probleme zu sprechen. [Dass Freud die Bedeutung der Sexualität überbewertete, tritt gegen dieses Verdienst zurück. Marx hat die für die Gesellschaftswissenschaft wichtige Entdeckung von der Bedeutung der Ökonomie auch überbewertet.]

Das Psychische oder das Seelische [diese Begriffe werden scheinbar synonym benutzt] sei hochzusammengesetzter Natur, seine Elemente seien Motive, Triebregungen. Die Seele sei etwas dynamisches, in ihr fände ein Kräftespiel zielstrebiger Tendenzen statt, die zusammen und/oder gegeneinander arbeiteten. Die freudsche Psychologie ist eine dynamische Konflikt- und Motivationspsychologie. Jedes psychische Geschehen habe eine Ursache.

Psychoanalyse: Durch eine bestimmte Form des Gesprächs – besonders durch »freie Assoziation« – könne der Nervenarzt – später dann Psychoanalytiker genannt – dem Patienten dazu verhelfen, sich Verdrängtes bewusst zu machen und seine Neurosen dadurch zu heilen. Durch eine nachträgliche Rekonstruktion und Bewusstmachung werde eine bessere Konflikt- und Erlebnisverarbeitung erreicht.

Forschung, Therapie und Theorie:
Freud definierte Psychoanalyse kurz und knapp folgendermaßen:

  1. »... eines Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge,
    welche sonst kaum zugänglich sind;
  2. einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich
    auf diese Untersuchung gründet;
  3. einer Reihe von psychologischen auf solchem Wege
    gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer
    wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen«.

(Zitiert nach Dieter Ulrich, 78)

Ging Freud auch von psychischen Störungen aus, so beanspruchte er doch, eine Theorie über das Seelenleben schlechthin – auch das »gesunde« – entwickelt zu haben. Gesundheit ist nach Freud »Liebes und Arbeitsfähigkeit«. Krankheit sei subjektiver Leidensdruck. [Der Verrückte, der darunter nicht leidet, ist gesund?]

Traumdeutung: Durch Mechanismen wie Entstellung, Verschiebung, Verdichtung, Neuzusammensetzung und Symbolisierung entstehe der Trauminhalt. Hinter ihm verberge sich der Versuch einer Wunscherfüllung, die durch einen »inneren Zensor« verhindert were. Nach Freud ist die wissenschaftlich systematische Traumdeutung der »Königsweg« zum Unbewussten eines Menschen.

Auch Versprecher, Fehlleistungen und Witze seien Hinweise auf Unbewusstes. Jede Handlung und jeder Gedanke sei ein Kompromiss aus bewussten Zielen und unbewussten Motiven, aus bewussten Absichten und abgelehnten Impulsen. [Von daher der Spruch: »Freud lacht mit.«]

Eine weitere Äußerung von Verdrängung sei die Projektion, ein Abwehrmechanismus, bei dem eigene, unliebsame, verbotene Gefühle und Wünsche einem anderen Menschen angelastet würden. Wenn sich z. B. ein Mensch von einem anderen Menschen sexuell bedrängt fühle, seine Mitmenschen dafür aber keine Anhaltspunkte sähen, dann habe der Mensch, der sich bedrängt fühlt, unbewusst das Verlangen nach Sex mit dem angeblichen Bedränger.

Keine Willensfreiheit: Eng mit dieser Auffassung hängt zusammen, dass nach Freud alle bewussten und unbewussten Vergänge absolut determiniert sind. Es gebe im psychischen Bereich keinen Zufall. [3]

Orale, anale und ödipale Phase: Jeder Mensch durchlaufe im Fortgang seiner kindlichen Entwicklung diese drei Phasen, die von spezifischen innerindividuellen Konflikten begleitet seien. In der oralen Phase sei das Kind sehr auf seinen Mund fixiert, in der analen Phase auf die Ausscheidungsorgane. In der ödipalen oder auch phalischen Phase auf die Genitalien. Wie gut die Verarbeitung dieser Konflikte gelinge, entscheide über die spätere seelische Gesundheit, bzw. Krankheit eines Menschen. Der »anale Charakter« (geizig, pedantisch, übertrieben ordentlich) sei Resultat von unbewältigten Konflikten in der analen Phase. [Der Geizige muss nur zu einem guten Psychoanalytiker, dann wird er freigiebig. ;-) Dummerweise sind Psychoanalytiker so teuer, dass der Geizige dort nicht hingeht.]

Ödipuskonflikt als Generalerklärung: Besonders wichtig für das spätere Schicksal eines Menschen sei die  ödipale Phase. In ihr wünsche das Kind unbewusst sexuellen Kontakt mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil. Mit Hilfe des Ödipuskonflikts erklären orthodoxe Freudianer alle Autoritätskonflikte nicht nur im privaten, sondern auch im politischen und wirtschaftlichen Bereich, was dann zum Teil ins Lächerliche geht. (Der Arbeiter, der für mehr Lohn streikt, hasst unbewusst im Unternehmer seinen Vater, der ihm die Mutter vorenthielt.)

Penisneid: Eine besonders von Feministinnen (aber nicht nur von denen) bekämpfte Behauptung Freuds ist, dass kleine Mädchen einen Penis wünschen, sobald sie das Fehlen dieses Organs bei sich bemerken. Daraus könnten sich später als typisch weibliche Neurosen Neid, Eifersucht und Konkurrenzhaltung gegenüber Männern ergeben.

Gelinge es einem Kind nicht, die in der jeweiligen Phase vorhandenen Bedürfnisse zu befriedigen, entstünde ein Konflikt zwischen Bedürfnis und Furcht der Bedürfnisentsagung. Um sich vor Frustration zu schützen, entwickele das Kind eine Abwehr gegen seine natürlichen Bedürfnisse. Hieraus könne sich eine »Urverdrängung« ergeben. Die Bedürfnisse würden vergessen. Die mit dem Bedürfnis verbundene Energie konnte sich nicht entladen, dass Kind bleibe an die entsprechende Phase fixiert.

Der Affekt sei der energetische Teil einer Vorstellung. Durch einen Konflikt komme es zur Spaltung von Affekt und Vorstellung. Die nicht entladene Energie verbinde sich mit einer anderen (neurotischen) Vorstellung.

Libidotheorie: Die Libido sei die sexuelle Triebkraft. Libidinös sei jedes Motiv, das mit sinnlicher Sehnsucht erlebt werde und dessen Befriedigung Lust hervorrufe. [Also auch Essen,  Musik hören u. ä.] Seelische Krankheiten seien Ergebnisse von Störungen in der Libidoentwicklung in den oben genannten drei Phasen der kindlichen Entwicklung.

Triebunterdrückung als Notwendigkeit der Kultur: In der Unterdrückung des Sexualtriebs sah Freud aber nicht nur etwas negatives. Im Gegenteil! Erst aus der Triebunterdrückung entstehe Kultur. Die Sublimierung der Libido in kulturelle, wissenschaftliche, künstlerische Leistungen sei die Voraussetzung der Entstehung von Zivilisation. Dies ist später besonders von den »Linken« unter seinen Schülern bestritten bzw. relativiert worden. (Reich, Fromm, Frankfurter Schule.)

Philosophie sei eine der anständigsten Formen der Sublimierung verdrängter Sexualität. [Auch hier wird die Sexualität überbewertet.]

ES, ICH und ÜBER-ICH = (vereinfacht) Triebe, Bewusste Persönlichkeit, Gewissen.
Dieses Strukturmodell der psychisches Persönlichkeit ist ein zentrales Element der freudschen Theorie.
Das ES sei das angeborene und früheste psychische System. Es stehe vereinfachend für die unbewussten Triebe und die daraus resultierenden Wünsche, es sei dem
Bewusstsein unzugänglich. Das ES werde von Lebens- und Todestrieben beherrscht.
Das ÜBER-ICH sei der im Laufe der kindlichen Entwicklung entstandene Gegenpart zum ES. Es könne vereinfacht als das Gewissen eines Menschen bezeichnet werden, als die anerzogenen bzw. verinnerlichten Wertvorstellungen.
Das ICH sei im Großen und Ganzen die bewusste Persönlichkeit, aber auch Teile des ICHs seien unbewusst. Das ICH müsse zwischen ES, ÜBER-ICH und Umwelt vermitteln.
Funktioniere das ES nach dem Lustprinzip, so funktioniere das ICH nach dem Realitätsprinzip. Aus dem ES entstehe das ICH, das die Triebbefriedigung sichern soll. Das ICH schaffe sich dann das ÜBER-ICH als Schutz gegen das ES. Seelische Krankheit sei ein Ungleichgewicht dieser drei ewig sich im Streit befindenden Instanzen. Eine Neurose sei eine erworbene Strukturverformung, ein Missverhältnis zwischen den Instanzen und der Umwelt.

[Man darf sich die drei Instanzen nicht als materielle Dinge oder verschiedene Hirnregionen vorstellen. Es sind bei allen Menschen regelmäßig auftauchende Komplexe von Verhaltenssweisen, Bestrebungen, Motivationen u. w. Und letztendlich ist das Strukturmodell ein Modell, nicht die Wirklichkeit selbst. Wissenschaftliche Theorien sind »geistige Netze« (Popper), mit denen wir versuchen, die Wirklichkeit einzufangen. Die Wirklichkeit ist immer komplexer als jedes Erklärungsmodell. ( Popper zählte die Psychoanalyse allerdings nicht zu den legitimen »geistigen Netzen«.) Wenn man alle ethischen Regungen im Menschen als ÜBER-ICH abtut, bleibt dann am Ende nicht nur noch ethischer Relativismus, Nihilismus? Mir ist es plausibler, dass schon in der Natur des Menschen, nicht erst in seiner Sozialisation, Gründe für nichtegoistische Ethik liegen. Sehen Sie hierzu auch  Gefühlsethik.]

Lebens- und Todestrieb: Im Anschluss an den Tod der Tochter Sophie (1919) entwickelt Freud die Todestriebtheorie. Der Todestrieb (Thanatos – nach dem griechischen Totengott –, die ihm zugeordnete Energie wird »Destrudo« genannt) wurden dem Lebenstrieb (die ihm zugeordnete Energie ist die  »Libido«) entgegengestellt. Vielfach wird behauptet, Freud hätte diesen Gedanken von seinem ehemaligen Schüler und späteren Gegner Alfred Adler übernommen, der schon 1908 ähnliches geäußert hatte. Bei Freud wird dieser Todestrieb aber – im Unterschied zu Adler – fatalistischer und pessimistischer angesehen. Der Mensch habe einen unausrottbaren Hang zur Zerstörung, er habe nur die Alternative zwischen Selbstzerstörung und Zerstörung der Natur. Sinn und Ziel jedes Lebens sei der Tod. Jedes Leben eile dem Tod entgegen etc. Die Todestriebtheorie wurde nicht von allen Schülern akzeptiert. [Es ist immer wieder erstaunlich wie Allerweltsweisheiten bei sehr intelligenten und kreativen Menschen erst nach persönlichen Schicksalsschlägen ins Bewusstsein rücken, wie aus persönlichen Schicksalsschlägen Theoriegebäude abgeleitet werden. Von einem Wissenschaftler sollte man eigentlich eine gewisse Distanz zum subjektiven Schicksal erwarten, ein gewisses Maß an Objektivität und Wertfreiheit bei der Wahrnehmung der Tatsachen, nicht etwa bei ihrer Beurteilung. (Siehe dazu  Poppers Wertfreiheitspostulat für den Begründungszusammenhang.]

Freud und seine größten Schüler: C. G. Jung und Alfred Adler waren ursprünglich Schüler Freuds. Später haben sie eigenständige psychologische Theoriegebäude entwickelt, die eine größere, zumindest aber aktivere, engagiertere Anhängerschaft haben, als das ihres Lehrers. Zu nennen ist auch noch Erich Fromm und Wilhelm Reich (der später leider Esoterik betrieb) und die Theoretiker der Frankfurter Schule.

Freud war Atheist und ein Feind der Religion. Nach ihm hängt religiöser Glaube eng mit den Phantasien eines kindlichen Lebens zusammen, hauptsächlich den unbewussten Phantasien, in Bezug auf das Geschlechtsleben der Eltern und die Konflikte, die daraus entstehen. Religion sei einer Kindheitsneurose vergleichbar.

Freud und die Philosophie: Der frühe Freud wurde beeinflusst von Schopenhauer. Nietzsche bescheinigte er, viele Erkenntnisse der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben. Auf bestimmte Strömungen der Philosophie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten die Theorien Freuds – oft in Abwandlungen – einen großen Einfluss. U. a. auf die Vertreter der Frankfurter Schule, des Strukturalismus und des Poststrukturalismus.


Zitate Freuds

Bescheidenheit: »Meine Arbeit liegt hinter mir, wie Sie es selbst sagen. Niemand kann vorhersagen, wie spätere Zeiten sie einschätzen werden. Ich selbst bin nicht so sicher, von der Forschung ist ja der Zweifel unablösbar, und mehr als ein Bruchstückchen der Wahrheit hat man gewiss nicht herausbekommen.«

Empirismus: »Alle Wissenschaften beruhen auf Beobachtungen und Erfahrungen, die unser psychischer Apparat vermittelt.«

»Auf die Dauer kann der Vernunft und der Erfahrung nichts widerstehen.«

»Wo  Es war, soll  Ich werden.«

»Die große Frage, worauf ich noch keine Antwort gefunden habe, trotz dreißig Jahre Erforschung der weiblichen Seele, ist: Was will die Frau?« [Bei Generalisierungen muss man vorsichtig sein. Aber die meisten Frauen sind erheblich sprunghafter als die meisten Männer. Gerade wollten sie dies, einen Moment später wollen sie was anderes.]

»Die individuelle Freiheit ist kein Kulturgut. Sie war am größten vor jeder Kultur.« [Freiheit setzt deren Möglichkeit voraus. In einer freien, reichen und wissenschaftlich-technisch hochentwickelten Kultur-Gesellschaft ist die individuelle freiheit deshalb potentiell am größten.]

»Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.«

»Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich.«

»Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.«

»Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres Selbst, unseres eigenen Ichs

»Ein Jeder von uns kommt dahin, die Erwartungen, die er in der Jugend an seine Mitmenschen knüpft, als Illusionen fallen zu lassen, und kann erfahren, wie sehr ihm das Leben durch deren Übelwollen erschwert und schmerzhaft gemacht wird.« [!!! Leider, leider, leider.]

»In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank

»Kultur ist durch Verzicht auf Triebbefriedigung gewonnen worden und fordert von jedem neu Ankommenden, dass er denselben Triebverzicht leiste.«

»Die Kultur muss alles aufbieten, um den Aggressionstrieben der Menschen Schranken zu setzen.«

»Der Künstler hatte sich wie der Neurotiker von der unbefriedigenden Wirklichkeit in diese Phantasiewelt zurückgezogen, aber anders als der Neurotiker verstand er den Rückweg aus ihr zu finden und in der Wirklichkeit wieder festen Fuß zu fassen.«

»Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos.«

»Der Mensch ist eben ein ›unermüdlicher Lustsucher‹, und jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust wird ihm sehr schwer.«

»Wir Menschen fußen auf unserer tierischen Natur, wir werden nie göttergleich werden können.« [Aber unsere Nachfahren könnten es durch Änderung der Natur. Siehe Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten.]

»Der Mensch muss außer dem Mitleid für andere auch Rücksicht für sich selbst haben.«

»Die Religion ist eine Neurose.« [In vielen Fällen leider eine Psychose. Der IS ist anders nicht erklärbar.]

»Die Religiosität führt sich biologisch auf die langanhaltende Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit des kleinen Menschenkindes zurück, welches, wenn es später seine wirkliche Verlassenheit und Schwäche gegen die großen Mächte des Lebens erkannt hat, seine Lage ähnlich wie in der Kindheit empfindet und deren Trostlosigkeit durch die regressive Erneuerung der infantilen Schutzmächte zu verleugnen versucht.«

»Derjenige, der zum erstenmal an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.«

»Ich ziehe die Gesellschaft der Tiere der menschlichen vor. Gewiss, ein wildes Tier ist grausam. Aber die Gemeinheit ist das Vorrecht des zivilisierten Menschen.«

»Der Traum ist eine Psychose, mit allen Ungereimtheiten, Wahnbildungen, Sinnestäuschungen einer solchen.«

»Der Traum ist der königliche Weg zu unserer Seele

»Wir versuchen unterdes, die Leistungsfähigkeit unserer Sinnesorgane durch künstliche Hilfsmittel aufs äußerste zu steigern, aber man darf erwarten, dass alle solche Bemühungen am Endergebnis nichts ändern werden. Das Reale wird immer unerkennbar bleiben.« [Im Bezug auf zweifelfreies Wissen mag das so sein. Aber zwei Wissensarten haben wir mit Hilfe der künstlichen Sinnesorgane beträchtlich vermehrt: Das praktisch verwertbare Wissen und das  Vermutungswissen.]

»Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt.«

»Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.«

»Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass eine Wissenschaft aus lauter streng bewiesenen Lehrsätzen besteht, und ein Unrecht, solches zu fordern.«

»Worte und Zauber waren ursprünglich ein und dasselbe. Auch heute besitzt das Wort eine starke magische Kraft


Kritik an Freud

Eine von psychologischen Positionen ausgehende Kritik an den psychologischen Theorien Freuds nehme ich nicht vor. Dafür bin ich zu wenig Psychologe. Es geht im folgenden um Kritik, die sich auf die philosophischen Aussagen, auf unausgesprochene – eventuell auch unbewusste – erkenntnistheoretische Voraussetzungen und auf gesellschaftliche Auswirkungen der Psychoanalyse bezieht. Teils ist diese Kritik schon direkt an die Darstellung seiner Positionen angehängt, z. B. bei der Verneinung der Willensfreiheit.

Dogmatismus: Freud sah es nicht so, dass er eine plausible wissenschaftliche  Hypothese entwickelt hatte, die half neurotische Menschen zu heilen. Die Psychoanalyse wurde faktisch zu einer neuen Weltanschauung, zu einer Ersatzreligion, zu einem von ihm geschaffenen Dogma. Abweichende Auffassungen wurden mit Exkommunikation geahndet. (Beispiele: Adler, Jung, Reich – diese waren allerdings in beträchtlichem Maße selbst Dogmatiker.) Freud kommt das Verdienst zu, die Tiefenpsychologie zu einer bedeutenden psychologichen Strömung gemacht zu haben, die zu einem neuen Bild des Menschen über sich selbst geführt hat. Aber ein Gebäude absoluter Wahrheiten hat weder er, noch einer seiner später abweichenden Schüler entwickelt.

Gemessen an der Forderung Poppers, dass wissenschaftliche Aussagen falsifizierbar sein müssen, ist die Psychoanalyse keine Wissenschaft. Ich will aber nicht so weit gehen, der Psychoanalyse jeden wissenschaftlichen Wert abzusprechen. Wenn ich allerdings Traumdeutungen Freuds oder anderer Psychoanalytiker lese, dann habe ich häufig den Eindruck, dass auf grund bestimmter Grundannahmen Bedeutungen in die Träume hinein interpretiert werden. Von anderen Grundüberzeugungen aus könnte man auch ganz andere Bedeutungen hineininterpretieren.

Gesellschaftliche Faktoren unterbewertet: Dass der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist, kommt bei Freud zu kurz. (Gegensatz zu Adler.) Der frühe Freud forderte noch, die Gesellschaft solle bessere und gefahrlosere Möglichkeiten zur Triebbefriedigung schaffen. Der spätere Freud resignierte.

Freuds Patienten waren zum größten Teil Angehörige der privilegierten Schichten, die sich um die materiellen Lebensgrundlagen nicht zu sorgen brauchten. Die seelischen Probleme und deren Ursachen, die Freud bei ihnen beobachtete – oder zu beobachten glaubte –, sind von daher nicht repräsentativ für die Mehrheit der Menschen.


Literatur und Sekundärliteratur

Literaur (Auswahl)

Sekundärliteratur

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Anmerkungen

Anm. 1: Den Begriff »Unbewusstes« und Theorien über dieses gab es allerdings auch schon vor Freud. Sehen Sie hierzu den Abschnitt  Philosophische Theorien über das Unbewusste im philolex-Artikel über das Unbewusste. – Zurück zum Text

Anm. 2: Nach meiner philosophischen Überzeugung ist Bewusstsein nicht nur ein »subjektiver« Tatbestand und auch nicht nur von »inneren Vorgängen«. Das von mir in diesem Moment unmittelbar wahrgenommene Buch über Psychoanalyse ist außerhalb von mir und auch das Wissen (Bewusstsein) um dieses Buch ist nicht in meinem Kopf, in meinem Gehirn, sondern dort, wo das Buch ist. Näher ausgeführt habe ich dies in der Anmerkund 5 zu meinem Aufsatz Eine kurze Zusammenfassung meiner Philosophie. – Zurück zum Text

Anm. 3: Da Freud Zeit seines Lebens an dem Gedanken festhielt, dass sich alle psychischen Vorgänge letztlich auf physiologische zurückführen lassen – er war also ein philosophischer  Materialist –, bedeutet dies, dass auch in der physikalischen Welt der Determinismus absolut regiert. Diese Annahme steht im Widerspruch zu Heisenbergs Behauptung, dass es im subatomaren Bereich keine Determination gibt. Und sie steht im Widerspruch zu den Philosophien, die die Determiniertheit aller Vorgänge bezweifeln, z. B. die  Kants und  Poppers. – Zurück zum Text

Anm. 4: Die Rowohlt-Bildmonographien sind in der Regel gute Einführungen in das Werk eines Philosophen oder Wissenschaftlers. Deshalb lese ich sie in der Regel und weise auf sie hin. Ich habe inzwischen aber auch zwei schlechte kennengelernt: Die über Adorno und die über Freud. Die Monographie über Freud ist weder zum Kennenlernen seines Lebenslaufes noch als Einführung in die Psychoanalyse besonders geeignet. Es setzt die Kenntnis des Lebenslaufes Freuds und der Psychoanalyse eigentlich bereits voraus. Der Text ist weitgehend eine Psychoanalyse Freuds. Zurück zum Text


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